Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
gestern Abend zum Abschied geweint. Und hat dir deine drei dicken Pullover alle selbst gestrickt. Und jetzt stehen hier so feindselige Sangria-Stiere in flirrender Hitze und fressen bösen Blickes Lakritzschnecken, und die Autobahn ist hässlich, und die Mutter ist dick und hektisch und spricht ein grauenhaftes Englisch, und der eine Sohn ist überkandidelt, und das kleine Mädchen argwöhnt dich an, und das Baby nimmt dich gar nicht zur Kenntnis. Wie ängstlich muss dein Herz jetzt schlagen, Emil, wenn du daran denkst, wie das Haus sein wird, in dem du jetzt ein Jahr wohnen musst? Vielleicht stellst du dir einen grässlichen rotgeklinkerten Bunker vor an einer vielbefahrenen vierspurigen Straße. Vielleicht malst du dir ein grauverputztes Mietshaus aus, wo die Kinderwagen und Roller unten im Treppenhaus stehen und der Hauswart »Spielen verboten« an eine Mauer im Garagenhof geschrieben hat? Oder du fürchtest dich vor einem einsam stehenden, verwinkelten alten grauen Haus, mitten auf einem Stoppelfeld, ringsum keine Menschenseele, nur Sumpf und Einöde?
Nein, Emil. Sei beruhigt. Wir wohnen in einem freundlichen, hellgelb verputzten Haus mitten in einer Spielstraße, und nebenan wohnt Senta, die gütigste und liebste Schwester, die man haben kann, die hat einen Sorgetrieb und wird dich ins Herz schließen, sollst mal sehen, bald strickt sie dir auch Pullover, und sie kocht dir dein Lieblingsessen und führt dich an der Hand zu all den Behörden und Ämtern und Sprachschulen, zu denen du musst, sie meldet dich sofort im Tennisclub an und organisiert Kaffeekränzchen mit allen Frauen aus der Nachbarschaft, die Töchter in deinem Alter haben. So ist sie, die Senta. Sie verströmt Nächstenliebe und schmiert uns allen Bütterken und fährt die Kinder zur Schule und zur Spielgruppe und zum schöpferischen frühkindlichen Turnen, und dann kocht sie Essen, und wir setzen uns an den Tisch und machen: »Widdewiddewitt – guten Appetit.« Es wird dich begeistern.
Ach so, einen Mann haben wir nicht. Du bist jetzt der einzige Mann im Haus.
»How do you feel for the moment?« Ach, wenn ich doch mit Emil scherzen und plaudern könnte!
»Fine, thank’s!«
Emil war höflich, ohne Frage, aber dass er sich nicht fein fühlte, verriet mir der Blick in den Rückspiegel. Feine Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn.
»Why don’t you put out your pullover?«
»No, thank you, I’m allright!«
»Mama, kann der überhaupt kein Deutsch?«
»Bis jetzt noch nicht.«
»Was soll ich dann mit dem?«
»Bitte, Karl! Stell dir mal vor, wie du dich fühlen würdest, wenn du ans andere Ende der Welt fahren würdest, wo es keine Lakritzschnecken gibt. Na? Hast du dir das schon mal überlegt?«
»Nö. Selber schuld. Muss er ja nicht.«
»Mama, wenn der kein Deutsch spricht, dann bringen wir es ihm bei«, meldete sich Oskar von hinten. »Emil, sag mal Scheiße!«
Emil schwieg. Er schien genau zu wissen, dass das ein unziemliches Wort war.
»Schei-ße!« Ich sah die Spucketröpfchen durch Oskars Zahnlücken fliegen. »Los! Sag’s! SCHEI-SSE!«
»Sag mal Scheiße!«, krähte nun auch das Katinkalein.
Katinka lispelte gar entzückend. Ihr Zünglein kam jedes Mal bis zur Hälfte unter ihren schneeweißen Milchzähnchen hervor, wenn sie einen Zischlaut aussprach, »ßag mal ßeißße!« Dabei grinste sie mit weiblicher Tücke. Ihre wenigen blondweißen Härchen flogen im Fahrtwind.
Emil lächelte scheu und sagte höflich »Scheiße«.
Oskar lachte dreckig. »Hahaha! Mama, der hat Scheiße gesagt!«
»Ist der blöd«, murmelte Karl verächtlich vor sich hin.
»Na bitte! Der Emil lernt ganz schnell, ihr werdet sehen!« Ich setzte den Blinker und ordnete mich rechts ein.
»Sag mal Wichser!«, geiferte Oskar mit kindlicher Grausamkeit. Der ganze Kleinbus wackelte, so begeistert hopste das ideenreiche Kind auf seinem tüvgeprüften Sitz auf und ab.
»Wixßßa!«, echote Katinka.
Emil räusperte sich verlegen. »Is it a bad word?«
»No«, sagte ich nach hinten. »It’s a normal word. It means friend, brother, neighbor, guy.«
»Wichsörr«, ließ Emil daraufhin vernehmen. Er hatte einen bezaubernden Buren-Akzent.
»Hahaha.« Der Kleinbus wackelte. »Mama, der hat Wichser gesagt!«
»Der hat Wixßßa geßßagt!« Auch Katinka war unmittelbar begeistert. Selbst Karl ließ sich ein hämisches Grinsen entlocken.
Als wir vor unserem hellgelb verputzten Häuschen ankamen, konnte Emil schon sieben Wörter. Die Wichtigsten eben.
Wie
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