Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
Hof und schlief mich endlich aus. Am Vormittag klingelte das Telefon. Es war das neben der Toilette.
»Schätzchen, halt dich fest! Alles wird gut!«
Mein Herz tat einen Satz. Mal sehen, was sie sich weiter ausgedacht hatte. Ich musste ja mitspielen.
»Was ist? Sag schon!«
»SENSATIONELLE Neuigkeiten!« Man hörte Oda-Gesine begeistert an irgendetwas kauen.
»Wo sind sie? Wann kann ich sie sehen?«
»Die kannst du sofort sehen! Du wirst deinen Augen nicht trauen! Schalt mal den Fernseher ein!«
»Geht gerade nicht. Ich bin gerade … im Bad.«
»Na, dann frag mal schnell die Quoten ab!«
»Quoten? Sagtest du Quoten?!«
»SECHZEHN MILLIONEN gestern die LIVE-SENDUNG! SIEBENUNDFÜNFZIG PROZENT MARKTANTEIL!!!«
»Ja, aber …«
»Und lies mal die Zeitung! Karla Stein, gut wie nie!
Endlich ist sie witzig, trendy und frech!«
»Hör mal, Oda-Gesine, ich will wissen, wo meine Toch…«
»Die Interviews wurden im Schnitt von knapp zwölf Millionen gesehen. Die Auswertungen zeigen«, man hörte Oda-Gesine hektisch blättern, »dass die Altersgruppen der Zuschauer in Prozent…«
»ODA-GESINE! Ich schalte jetzt sofort die Polizei ein!«
»Die Gruppe der Acht- bis Vierzehnjährigen ist drastisch gestiegen! Die finden das voll cool mit der Entführung!«
»Ich bin wirklich sprachlos …«
»Nicht wahr, das sind wir alle. Und hier …«, ich hörte sie rascheln, »das wird dich umhauen, jetzt haben wir sie geknackt, die Fünfzehn- bis Neunzehnjährigen, die bis jetzt immer ›Unter Niveau‹ um 18 Uhr 15 geguckt haben, finden es affengeil, dass du es mit dem Emil getrieben hast! Sex and crime, das ist es, was DER SENDER gebraucht hat! Jetzt haben wir die anderen Privaten locker ausgetrickst! Karla! Wir haben es geschafft! Der Schiffsarzt hat abgekackt! Den wird der Gusti Satthaber sofort aus dem Programm nehmen! Den haben sowieso nur noch die über Dreiundzwanzigjährigen geguckt, eine völlig unbrauchbare Klientel, sagt auch der Bönninghausen, herzlichen Glückwunsch übrigens, wir sind hier alle am Feiern, und du solltest auch gleich rüberkommen, wir haben schon einen Fahrer losgeschickt!«
»Was ist mit Emil und Paulinchen?«, flüsterte ich.
»Ach so, das war ja der Grund meines Anrufs!« Oda-Gesine lachte fett. »Erst die guten Neuigkeiten und dann die noch besseren! Emil und die Detektive sind wohlbehalten aus der Schweiz zurück. Du musst nicht böse sein, ich hatte sie nur ein bisschen aus dem Verkehr gezogen.«
»WAS ? Das sagst du erst jetzt?«, schrie ich in den Hörer. Ich tat, als würde ich das gerade erst erfahren.
»Sie sind bei dir zu Hause, stell dir vor!«
»Na, dann bring sie her!« Zufrieden rieb ich mir die Hände.
»Unser Fahrer holt deine Familie gerade ab!«
»Melanie auch?«
»Nein. Die ist mit ihrem Praktikum fertig.«
»Na wunderbar«, sagte ich und legte auf.
Oda-Gesine war so umringt von neuen Sponsoren, dass es mir gar nicht gelang, sie zur Rede zu stellen. Sie telefonierte ohne Ende mit allen möglichen Presseorganen, mit Firmen, mit ihren Mitarbeitern, mit einem Partyservice, mit ihrer Mutter im Altersheim. Sogar Herr Bönninghausen war freundlich gestimmt. Er verhandelte und bestellte und ging summend durch die Flure und redete ansonsten fröhlich in sein pinkfarbenes Handy, auf dem »›Wört-Flört‹ – der heiße Draht« stand. Im ganzen Sender herrschte Partystimmung. Mehrere hohe Herren der Intendanz und der Programmgestaltung und der Sendeleitung kamen vorbei und gaben uns die Ehre. Es wurden Schnittchen gereicht und Sekt, und die Produkte von Herrn Bönninghausen zierten alle Flure und Räume. Das Studio selbst war zu einer riesigen Partyfläche umgebaut worden. Eine Band spielte heiße Rhythmen. Im Foyer drängten sich dieselben Journalisten und Fotoreporter wie gestern, und diesmal wurde die glücklich vereinte Familie fotografiert, Herr Bönninghausen sorgte dafür, dass auch alle seine Produkte im Bild waren, Oda-Gesine hatte sich mit »Wört- Flört«-Kette und -Armband geschmückt, und sie trug die Schirmkappe wie alle unsere Mitarbeiter, und natürlich hängte man auch Paulinchen und Katinkalein die Schmuckkollektion der Firma »Nesti-Schock« um, während meine Söhne »Eislümmel für coole Lover« schleckten und »WÖRT-FLÖRT-TÖRTS« in sich reinstopften, bis sie mit ganz verschmierten Mündern in die Kamera grinsten.
»Wie geht es Ihnen im Kreise Ihrer Lieben, Frau Stein?«
»Wie schaffen Sie das nur alles, vier Kinder und so eine
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