Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
Backe.
»Und sag ihm, er soll sich nicht an der Backe kratzen«, herrschte Oda-Gesine Kim an. Sie feuerte ein »Wört-Flört«-Papierchen auf den Fußboden.
Dann wendeten wir uns an den Nächsten.
Vier Stunden später waren wir immer noch in dem Kabuff. Zweimal hatte Emil mir mein Kind gebracht. Wegen der Zeitknappheit konnte ich es mir nicht erlauben, Paulinchen woanders zu stillen. Also schnaufte sie während der mühsamen Gespräche mit den verstockten, verschüchterten und kein bisschen mitteilsamen Kandidaten an meinem Busen herum, während Oda-Gesine sich schrecklich aufregte. Wie ich im Verlauf des Tages lernte, war Kim diejenige, die für die Intelligenz der Kandidaten verantwortlich war.
Kim hatte eine Casting-Firma, und die Mitarbeiter dieser Firma – es waren die Gepiercten, die voll gut drauf waren und alle gleich aussahen – zogen nachts durch Deutschlands Discos und brüllten ahnungslose Jünglinge und Mädels an, die wegen des Lärms nur die Hälfte verstanden: »Ey, willzte ma ins Fernsehen?«
»Klaa, ey!«
»Dann komma mit inne Ecke! Da ham wir ’ne Videokamera aufgebaut!«
»Ich bin aba besoffen, ey!«
»Macht nix. Hauptsache, du kannz noch dein Nam sagn und weißt, wode herkomms un was de so machs!«
»Klaa, ey! Weisichdas!«
»Nimma die Sonnenbrille ab und setz dich dahin, und jetz sach: Ich heiße, ich komme aus und mache. Kannze dat?«
»Klaa, ey. Also ich bin der LUTZ, komme aus LÜTZNHAUSN und bin ein LEEMSKÜNSTLA.«
»Wieso Lebenskünstler?!«
»Wieso, wieso! Weil ich ’n fröhlichet Kealchen bin, ey!«
»Und womit Verdienste dein GELD?«
»Bin bei der Stadt! Angestellter im Fundbürro!«
»Boh, toll! Das ist bestimmt suuuu-pa interessant!«
»Jau, ey! Wat daa so allet verloan geht! Vom Pottmonnee bis zum Parisa, ey! Und in meiner Freizeit box ich und fah Motorrad!«
»Und hasse auch keine feste Freundin, Mann?«
»Nö! Jehnfalls nich seit letzte Woche, hähähä!«
»Toll! Dann füll mal den Bogen hier aus, wennde kannz, wir halten dir auch den Griffel!«
Ja, so sammelte Kim mit ihrer Firma unermüdlich die spritzigen, witzigen und originellen Kandidaten für »Wört-Flört«. Was das für ein knochenharter Job war, wurde mir jetzt klar. Immer wenn einer von den »Kerls abkackte«, wie Oda-Gesine das verächtlich nannte, fühlte sich Kim schuldig und wurde mit bösen Blicken bedacht.
Und die Kerls kackten der Reihe nach ab.
Mühsam entlockte Rolf ihnen spärliche Informationen, die Maik, der schon an Sehnenscheidenentzündung litt, mit unendlicher Geduld auf die Pappschilder schrieb. Oda-Gesine hieb ärgerlich mit ihrer speckigen Pranke auf den Tisch, wenn einer so gar nichts von sich preiszugeben bereit war.
Alle fünf Minuten ging die Tür auf. Die übereifrige Silvia nervte mit »Habt’s ihr alles? Ist’s recht? Braucht’s ihr noch Zucker fürn Kaffee? Soll ich die Wolldecke wieder mitnehmen? Ist’s nicht die Richtige? I könnt noch ’ne andere Wolldecke besorgn! Braucht’s ihr noch ’n Durchlauferhitzer? Sonst kann i auch ’n ändern besorgn!«
Oda-Gesine brüllte sie an, sie solle sich selbst aus der Tür besorgen.
Am späten Nachmittag steckte immer häufiger der besorgte Frank sein rot bekopftuchtes Haupt durch den Türspalt. Die Outfits seien nun gebügelt. Und die Kandidaten seien immer noch nicht in den Outfits. Man habe die Outfits jetzt ohne Kandidaten drin vor die Kamera gehalten. Es sei aber immer noch nicht klar, welches Outfit »die Karla« anziehe, weil »die Karla« sich ja gegen das Dackelhalstuch gewehrt habe, und er habe hier mal vier andere Halstücher mitgebracht, die zeitlos-klassisch seien. Ob es möglich sei, die Halstücher jetzt mal mitsamt meinem Kopf drüber in die Kamera zu halten, der Kameramann warte bereits seit einer Stunde auf diesen alles entscheidenden Moment.
Oda-Gesine schnauzte ihn an, das Dackelhalstuch sei jetzt kein Thema, und er solle die Tür von außen zumachen. Franks rotes Kopftuch wehte gekränkt mit den Dackel-, Rebhuhn- und sonstigen Halstüchern weg.
Mit der Zeit erschien auch immer öfter der nervös-kränkelnde Sascha mit der Bemerkung, die Kandidaten seien immer noch nicht geschminkt, und man sei zwar schon hingegangen und habe an Perücken das Styling und Outfitting der Kandidaten »soweit festgelegt«, aber es mache doch Sinn, jetzt mal hinzugehen und die Kandidaten selbst zu schminken.
Oda-Gesine wischte den armen Sascha aus der Tür. Er solle hingehen, aber nicht zurückkommen.
Auch die
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