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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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grübeln. Doch es ging nicht. Mein Busen platzte. Paulinchen war die ganze Nacht nicht erschienen. Dabei hätte sie diese Nacht nicht gestört. Ich war sowieso wach bei all dem Getier.
    Leise schlich ich mich über den dämmrigen Flur und klopfte an Emils Tür. Er hatte ein Zimmer auf der anderen Seite des Ganges. Nichts.
    »Emil?« Ich öffnete die Tür einen Spaltbreit.
    Atmen. Geruch nach schlafendem Menschen, Muttermilchstuhl und Babycreme. Auf der Konsole die grüne Wolldecke, Pampers, Leibchen und Strampler lose verstreut. Dazwischen Emils Jeans, T-Shirt, Turnschuhe. Eine halbleer getrunkene Flasche Cola neben einer Flasche Babytee. Der Fläschchenwärmer, ein eselsohriger Thriller auf Englisch, die gestrickten Babysöckchen, die Bommelmütze, daneben die Kappe von Emil, die er immer verkehrt herum aufsetzte. Die Sonnenbrille, der Ersatzschnuller, ein Paar Tennissocken. Ein Stillleben im Dorfhotel morgens um sechs.
    Wenigstens war es hier still. Emils Zimmer ging nach hinten raus. Ich schlich mich hinein und machte die Tür lautlos hinter mir zu.
    Emil lag zusammengeringelt auf seinem Bett, mein Paulinchen im Arm, und schlief fest. Sein nackter Oberkörper war muskulöser, als ich mir vorgestellt hatte. Er sah wunderschön aus in der Morgendämmerung. Viel schöner als dieser unsägliche Brett Pitt, den alle als Traummann angaben. Noch nie hatte ich einen Gedanken darauf verschwendet, wie mein Au-pair-Junge wohl unter seinen T-Shirts und Jeans aussehen würde. Noch nie hatte ich überhaupt irgendetwas über ihn gedacht, als dass er ein netter, bescheidener und gut erzogener Junge war.
    Verrückt, Alte, spinn nicht rum, wende deinen Blick von diesem Kandidaten, schnapp dir dein Baby und schleich di. Ich bitte um die Wand.
    Nein. Gegenüber in meinem Zimmer stinkt’s und ist’s kalt und laut. Und eine Spinne harret meiner und eine fette Stubenfliege auch.
    Ich klaubte mir mein Kind vorsichtig aus Emils Umarmung.
    Er öffnete nur kurz die Augen, sah mich schlaftrunken an und schlief sofort weiter.
    Ich wischte ein paar Klamotten von dem einzigen Stuhl, der in Emils Zimmer stand, setzte mich darauf und legte mein Paulinchen an. Tief beruhigt und in der plötzlichen Gewissheit, dass alles gut werden würde, schloss ich die Augen und genoss das Einschießen der Mutterglückhormone.
    Ich strich über das winzige, schlafwarme Köpfchen, über die drei seidenweichen Härchen, die noch kein trendy Hornklämmerchen brauchten, und steckte meine Nase in das Bündel Babylein. Ich streichelte die kleinen nackten Füßchen, die sich reflexartig nach innen wölbten. So winzige, winzige Füßchen! Ohne jede Hornhaut, so glatt und so weich!
    Und da kamen mir plötzlich die Tränen. Stillende Mütter heulen manchmal, das ist völlick normal. Ich ließ es zu, dass ich heulte, obwohl ich mich schämte, und ich schielte durch die Schlieren vor meinen Augen auf Emil. Nichts wäre peinlicher, als wenn er jetzt erwachte und die hysterische Alte im Stillnachthemd auf seinem Höckerchen beim Heulen erwischte. Aber Emil schlief tief. Völlig lautlos. Wie eine griechische Statue. Im Museum würden die Leute Schlange stehen, um so etwas zu sehen.
    Ich kostete jede Minute aus, bis mein Töchterlein satt war, satt und müde und schlafwarm und schwer an meiner Brust, und ich ließ es liegen, als es schon lange nicht mehr trank. Ich wollte den ganzen Tag so sitzen bleiben, hier in der engen Bude. Aber ich gab mir einen Ruck, steckte das Menschlein wieder in die Armbeuge von Emil, zwang mich, ihm nicht beiläufig über den Arm zu streichen, riss mich von diesem verzaubernden Anblick los und schlich zurück in meine Kammer.
    In der kühlen herbstlichen Morgenluft beleuchtete eine schrägstehende Sonne die wenigen braunblättrigen Bäume, die auf dem Weg zum Studio standen.
    Die Schranke ging automatisch hoch, als ich neben meinem hässlichen Ebenbild auf der Hauswand das Gelände betrat. Na bitte. Wenn das kein Symbol für mein Leben ist. Alle Türen öffnen sich. Ich strahlte und grüßte und winkte und beeindruckte alle Mitarbeiter damit, dass ich mir ihre Namen gemerkt hatte. Als wenn das wichtig war, dachte ich. Kein Mensch unter den fünf bis sieben Millionen Zuschauern wird lobend erwähnen, dass die peplose Moderatorin mit dem Nickihalstüchlein sich aber wenigstens die Namen der Mitarbeiter gemerkt hatte. Trotzdem. Es war wie ein Zwang. Das Gehirn speicherte die Dinge, die nicht öffentlichkeitswirksam waren.
    Silvia stürzte als Erstes

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