Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
hat, jetzt, wo sie sie gesehen hat. Die sitzen nun alle in der Kneipe beim Weißbier und feiern. Kein Mensch wird mich vermissen, und keiner macht sich Gedanken darum, warum sich Jennifer für die Eins entschieden hat. Weg, ihr Gedanken. Weg! Jeder hat mal ’n schlechten Tag.
Aber ich habe eigentlich nur schlechte Tage. Und heute war der Allerschlechteste.
Endlich. Das Dorfhotel war dunkel und still. Noch nicht mal der Parkplatz war beleuchtet. Es war kurz nach elf. So spät war es noch nie geworden. So blöde Kandidaten hatten wir auch noch nie gehabt. Stunden! Für drei kleine Sätzchen! Ich rüttelte an der Tür. Zu. Abgeschlossen! Um elf! Tote Hose! Unruhig trat ich von einem Bein aufs andere. Paulinchen! Mama ist da! Nicht weinen! Da war ein Klingelknopf. Ich drückte darauf, so fest ich mit meinem starrgefrorenen Finger drücken konnte. Nichts. Dunkel. Tot. Still.
Aber da drin war mein Baby und schrie nach mir. Bestimmt. Und mein Emil war auch da drin.
Ich drückte auf die Klingel, bis der Finger blau wurde.
Nichts. Verdammt! Ihr bayrischen Hinterwäldler! Aufmachen! Los! Ich bin Karla Stein. Ich will zu meiner Stubenfliege. Kein Licht. Nirgends. Auch nicht das kleinste Fünkchen Nachttischlampe irgendwo hinter einem zugezogenen Vorhang. Es war zum Verrücktwerden. Das ist die Strafe, Karla. Du hast Mist gebaut. Jetzt kannst du die kalte Herbstnacht draußen verbringen. Droben am milchig-wolkigen Himmel zeigte sich eine schmallippig lächelnde Mondsichel. Aber sie verschwand sofort wieder hinter schwarzen Wolkentürmen.
Ausgesperrt. Ich kramte nach meinem Handy und rief im Hotel an. Durch die geschlossene Tür hörte ich drinnen an der Rezeption das Telefon klingeln. Na bitte. Jetzt würde der Alte von der Rezeption auf Fellpuschen die Treppe runterschlurfen und mir aufschließen. Oder das ältliche Fräulein, das morgens die vermatschte Aprikosenkaltschale aus der Tiefkühltruhe servierte. Nun kommt schon! Macht schon! Nichts. Keiner. Verflucht! Ich wählte Emils Handynummer. Für alle Fälle hatte ich Emil schon zu Beginn seiner Dienstzeit mein altes Handy gegeben. Und unsere Nummern unter der Kurzwahl einprogrammiert, damit wir uns gegenseitig immer erreichen konnten. Es tutete. Emil! Aufwachen! Ich steh hier draußen! Aber Emil ging nicht dran. Das konnte doch nicht sein! Ich rüttelte an der Tür, ich hämmerte verzweifelt mit den Fäusten daran. Von der Kirchturmuhr schlug es halb zwölf. Ich stand seit zwanzig Minuten im Stockdunkeln vor dieser verdammten Hoteltür! Und der Busen tropfte!
Inzwischen hatte es angefangen zu regnen. Meine hochtoupierten Haare fielen unter dem klebrigen Haarspray in sich zusammen. Die braune Schminke lief mir mit den Regentropfen über das Gesicht. Ich klapperte mit den Augen und fühlte, wie die dicke Wimperntusche mit den künstlichen Wimpern zu einer klebrigen Spinnwebe wurde. Wie ich das alles hasste, diesen künstlichen Mist, diesen Firlefanz, der den Anderen so wichtig war, dass er meine Zeit kostete, meine kostbare Zeit! Was hätte ich alles Sinnvolles mit dieser Zeit anfangen können!
Mit plötzlicher Wut begann ich, über das schmiedeeiserne Gitter zum Hof zu klettern. Seit bestimmt einem Vierteljahrhundert war ich nicht mehr über ein Gitter gestiegen. Die Eisenstangen waren kalt und spitz, aber mit der Kraft meiner Wut gelang es mir, mich hinüberzuwinden. Ziemlich unelegant landete ich im Hof. Ich umrundete den unfreundlichen Bau und gelangte so auf die Rückseite. Hier musste irgendwo Emils Zimmer sein. Ich zählte die Fenster. Jetzt bloß nicht irgendeinen schlafenden Vertreter wecken!! Womöglich noch Herrn Bönninghausen im kleinkarierten Pyjama mit Giraffen drauf … Das fünfte Fenster, das musste es sein. Die Vorhänge waren geschlossen. Alles schwarz. Ich bückte mich und hob einige Kieselsteine auf. Also los. Mit voller Kraft pfefferte ich einen Stein an Emils Fenster. Nichts tat sich. Tja, der Junge hatte einen gottgesegneten Schlaf! Ich schleuderte einen Stein nach dem anderen. Wach auf, Bengel!
Von der Kirchturmuhr schlug es Viertel vor zwölf. Paulinchen musste doch vor Hunger sterben! Das letzte Mal hatte ich sie vor der ersten Sendung um halb sieben gestillt! Vom vielen Bücken und Werfen wurde mir ganz heiß. Mir blieb fast die Luft weg. Endlich. Endlich öffnete sich der Vorhang, und ein verschlafener Kopf tauchte auf. Gott sei Dank. Es war nicht Herr Bönninghausen. Es war Emil. Er öffnete das Fenster. Wie bei Romeo und Julia. Nur
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