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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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wollenden Herrschaften von dem Tiefkühllümmel, und dann enttäusche ich Oda-Gesine noch auf diese Weise. Der Pickerin einen Tipp geben! Als Moderatorin einer Sendung, die Kult ist. Deren Reiz genau darin besteht, dass keiner was weiß. Und du, du bist neu, und direkt in deiner zweiten Sendestaffel hältst du nicht dein Maul. Selbst zum Nichts-Sagen bist du zu nichtssagend.
    Ich klopfte. Erst zaghaft. Dann energisch. Wir stellen uns in die Grätsche und spannen Bauch- und Gesäßmuskeln fest an …
    »JA!« Oje. Oda-Gesine war bestimmt schrecklich verärgert.
    Mir zitterten die Knie. Verdammt. Dass das nie aufhörte. Wird man eigentlich je erwachsen? Wann hört man auf, vor Autoritäten Angst zu haben? Was können sie einem tun? Hauen? Schimpfen? Einen schütteln? In die Ecke stellen? Strafarbeit? Mich an den Ohren zu meinen Eltern schleppen? Konnte sie doch alles nicht!
    Oda-Gesine lehnte wohlig-breit hinter ihrem Schreibtisch.
    »Setz dich. Hast du gut geschlafen?«
    Nein. Ich habe bis zwei Uhr bei Emil gehockt, bis endlich mein Kind aufwachte, und dann hab ich den Rest der Nacht in meinem Zimmer verbracht, wo ich beim kalten Licht der von draußen hereinscheinenden Straßenlaterne versucht habe, das Surren der Stubenfliege zu überhören.
    »Danke, gut. Alles bestens.« Ich räusperte mich. Wann würde sie zum Angriff übergehen?
    Oda-Gesine beugte ihre Massen über ihren Schreibtisch und legte ihre fette Pranke auf meine kalte Hand. »Du bist meine Gallionsfigur, Schätzchen. Ich glaub an dich.«
    Wie, sie wollte gar nicht schimpfen? Sie wollte mir nur die Hand tätscheln und »Schätzchen« zu mir sagen? Und deshalb hatte sie mich herbestellt? Ach, ich mochte Oda-Gesine, ich mochte sie wirklich schrecklich gern. Ich wollte sie nicht enttäuschen.
    »Hier«, sagte Oda-Gesine, als sie mein zaghaftes Lächeln bemerkte. »Ich hab natürlich ein paar Umfragen machen lassen.« Und dann wuchtete sie ihre Massen um ihren Schreibtisch herum und schrie »Lutz?!« ins Telefon, und Lutz steckte schon sein freundliches Antlitz unter seiner unvermeidlichen Baskenmütze zur Tür herein.
    »Bring mir mal die Umfragenauswertung.«
    Lutz warf mir einen freundlich-tröstenden Blick zu. Fast wie ein Zahnarzthelfer, der genau weiß, jetzt kommt der Bohrer, aber das arme Opfer klappt vertrauensvoll den Mund auf und harrt der Dinge, die da kommen werden. Er brachte eine riesige Mappe. Gemeinsam klappten wir sie auf. Sie war über zwei Meter breit. Und dann ließ Oda-Gesine ihren dicken Finger über viele Spalten und Zahlen gleiten. Ich betrachtete ihre in das Fett eingewachsenen Ringe und stellte mir vor, dass die niemals wieder abgehen würden.
    Oda-Gesine ahnte nicht, in welche unpassenden Gedanken ich verstrickt war. Sie erklärte mir eifrig, dass ich im Thüringer Raum 14 Prozent beliebter sei als im Bremer Raum und dass die Frauen über fünfzig mich ausnahmslos positiver bewerteten als die Männer unter dreißig und dass die arbeitslosen Jugendlichen in Sachsen mich absolut ätzend fänden, während die Herren in westlichen Großstädten aus mittleren Unternehmen mich durchaus als liebenswert, charmant und herzenswarm bezeichneten. 63 Prozent der berufstätigen Frauen ohne Familie lehnten mich rundweg ab, ganz besonders signifikant sei das am Beispiel von Bayern, da seien es sogar 72 Prozent. Mütter mit Kindern seien eklatant gegen mich, speziell in ländlichen Gegenden, während überraschenderweise 84 Prozent der Hausfrauen aus Mecklenburg-Vorpommern und immerhin 63 Prozent der berufstätigen Mütter aus Großstädten sich sehr positiv über mich äußerten. Die Geschiedenen fänden es zu 89 Prozent unverständlich, dass ich das Zielpublikum gewechselt hätte. Sie lehnten mich nun auch ab.
    Ich schluckte. »Mein Gott«, sagte ich. »Woher wisst ihr das?«
    »Wir haben in allen deutschen Fußgängerzonen Befragungen durchgeführt«, sagte Oda-Gesine stolz. »Drei Wochen lang.«
    »Nein!«
    »Natürlich! Wir wollen deinen Marktwert ganz genau wissen. Das ist üblich!«
    Und Oda-Gesines Finger blätterten das riesige Machwerk um, das gut und gerne als Doktorarbeit durchgehen konnte.
    Auf der nächsten Seite standen Einzelpunkte wie »Beurteilen Sie bitte die Sprache / Stimme / Ausstrahlung / Kleidung / Frisur / Figur der Moderatorin mit Noten von 1 bis 6. Hier schnitt ich nicht so grauenvoll ab, wie ich befürchtet hatte. Die Durchschnittsnote war 3,6. Also noch grauenvoll genug. Allein die Tatsache, dass wildfremde Menschen

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