Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
interessierte mich nicht für fünf Pfennige.
»Linda Evangelista«, sagte der Hondafahrer. »Aber ein bisschen mehr Titten kann sie schon haben.«
»O.K.«, sagte Rolf. »Neger das, Mike. Und du, äm … Dieter … nee … Dietmar …« Rolf schaute hilfesuchend auf seine Unterlagen.
»Genau. Das ist korrekt«, sagte Dietmar.
»Lass die Titten heute Abend weg. Sag lieber ›Rundungen‹ oder so was. Aber da briefen wir dich noch.«
»Wieso, eure ganze Sendung ist doch voll versaut!«
»Ja, aber wir arbeiten immer mit Zweideutigkeiten. Nie so ganz plump. Verstehst.«
»Klaro. Ich lasse mir noch was Kreatives einfallen. Ich bin da voll flexibel.«
»Nächster«, sagte Rolf. »Ich heiße, komme aus und mache. Kein Alter, kein Nachname.«
Gerade als der nächste Typ sich räusperte, knallte die Türklinke herunter, und Oda-Gesine quoll in den Raum. Wir erschraken alle. Waren wir doch so konzentriert und arbeitsintensiv in unser Briefing verstrickt!
»Alle mal raus«, bellte Oda-Gesine. »Karla, ich muss dich sprechen.«
Mir schlug das Herz bis zum Halse. Die Anderen erhoben sich schlaksig von ihren Stühlen, rafften ihre Zigaretten und Handys an sich und latschten gemächlich von dannen.
»Dicke Luft?«, hörte ich Dietmar klug argwöhnen.
»Tür zu!«, schnaufte Oda-Gesine. Sie ließ sich in den noch warmen Schaukelstuhl fallen, in dem Kim, die Gäste-Finderin, immer lethargisch und schweigend vor sich hin schaukelte.
»Sag mal, hast du gestern der Pickerin einen Tipp gegeben?«
Bumm. Mein Herzschlag setzte aus. Das war’s. Sie wusste es. Ich kam nicht davon.
»Nein! Wie kommst du darauf?«
Sie MUSSTE sehen, dass ich knallrot geworden war.
»Ich war eben bei Tanja in der Regie. Sie schneidet gerade die Sendung von gestern. Und da seh ich dich deutlich mit den Lippen formulieren: Nimm die Eins!«
»Quatsch«, sagte ich. Ich wollte sterben. Ich hatte mich niemals erbärmlicher gefühlt. Einmal hatte ich mein Karlchen geohrfeigt, als er mich angelogen hatte. »Hast du schon Zähne geputzt?« hatte ich gefragt. Und er hatte mit bräunlichen Zähnen ja gesagt und dabei eine Lakritzschneckenfahne gehabt, weshalb mir die Hand ausgerutscht war. Jetzt hätte ich mich gern selbst geohrfeigt.
Aber Oda-Gesine ohrfeigte mich nicht.
»Ich habe auch gehofft, dass ich mir das einbilde. Das kann doch nicht wahr sein, hab ich mir gedacht, und auch Tanja sagt, so dämlich bist du nicht, dass du den Kandidaten hier Tipps gibst. ›Wört-Flört‹ ist Kult, seit dreißig Jahren, und der Reiz an dieser Sendung ist, dass die Leute sich nur an der Stimme orientieren. In Amerika, da hat mal eine Moderatorin einer Kandidatin einen Tipp gegeben, das war der Skandal schlechthin, das stand in allen Zeitungen, die Frau ist achtkantig geflogen, ohne jede Abfindung stand die auf der Straße, und die Sendung ist eingestellt worden, weil die Leute glaubten, sie seien seit Jahren betrogen worden …«
Oda-Gesine schnaufte. Sie musste sich unterbrechen. Automatisch griff sie nach einem »Wört-Flört-Tört« und riss ihm die Kleider vom Leibe. In einem Stück stopfte sie sich den Nougatriegel in den Mund.
»Nein, nein«, beteuerte ich gegen das Hämmern in meinen Schläfen an.
»Komm mal mit!«, ächzte Oda-Gesine, während sie sich energisch aus dem Schaukelstuhl erhob. »Ich will das jetzt wissen. Was sagst du da zu dem Mädel? Ich bin doch nicht blind! Hören kann man nichts, aber man sieht es deutlich!«
Sie schleifte mich am Arm zur Garderobentür hinaus. Draußen lümmelten die Dietmars und Rolfs und Maiks und all die anderen jungen, aufsteigenden, dynamischen Menschen, die in ihrer Freizeit entspannt auf dem Klo saßen und Honda fuhren und keine anderen Sorgen hatten als Linda Evangelista und, klaro, ein kreatives Wort für Titten.
Ich wollte sterben. Jegliches Abgeführtwerden zum Schafott und zum gnädigen Sensenmann erschien mir als die mildere Strafe. Hier würde es einen Rückweg geben. Vorbei an denen allen. Vorbei an den coolen, gestylten, jungen, dynamischen, kreativen Typen, die alle, klaro, viel mehr in der Birne hatten als ich. Und ich hatte mich heimlich über sie erhoben, hatte mein eigenes Niveau für höher befunden, hatte sie als blöd und oberflächlich abgestempelt …
Rums! Die Eisentür zur Regie fiel hinter uns zu.
»Hallo, Karla!«, begrüßte mich Tanja freundlich.
Neben ihr saßen Christiane, die nette blonde Regieassistentin, Melanie, die bildschöne Praktikantin, die ich im Verdacht hatte,
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