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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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viel arbeiten.«
    Na klar. Andere Au-pair-Jungen müssen schuften und Treppen wischen und den Garten umgraben und Klos putzen. Das musste Emil bei uns nicht. Aber er musste mir das Baby nachtragen und mich ständig in meinem Elend sehen, entweder mich auf der Wolldecke wälzend oder nachts in seinem Kämmerlein, schniefend und heulend, dreckig und zerstaucht, seelisch wie körperlich ein lächerliches Wrack. Und das ist auch nicht jederjungs Sache. Mit neunzehn. Vielleicht sollte er demnächst bei Senta zu Hause bleiben und endlich mal ein normales Au-pair-Jungen-Leben führen. Mit Sprachenschule und Hausaufgaben und Sport und Disco und Kino und einer kleinen, schüchternen Liebe.
    »Möchtest du zur nächsten Sendestaffel von ›Wört-Flört‹ wieder mitfahren?«
    »Yes, Mam.«
    »Du musst es nicht, denn ich werde abstillen, wenn ich faste.«
    »Hm.« Ob er mich verstand? Abstillen. Fasten. Rückbildungsgymnastik. Moderieren. Neger halten. Das stand bestimmt in keinem Wörterbuch für Anfänger.
    »Ich grolle nicht, und wenn das Herz auch bricht …«
    Aber »Wört-Flört« ohne ihn? An welches Kämmerchen sollte ich klopfen, wenn nicht an seins?
    Wir lauschten Schumanns »Dichterliebe«.
    »Ich sah dich ja im Traume, ich sah die Nacht in deines Herzens Raume, ich sah die Schlang, die dir am Herzen frißt, ich sah mein Lieb wie sehr du elend bist …«
    »Aber du kannst. Ich meine, wir müssen Oda-Gesine nicht auf die Nase binden, dass ich dich nicht mehr brauche.«
    »No, Mam.«
    Schweigen.
    »Und wüßten’s die Blumen, die kleinen, wie tief verwundet mein Herz …«
    Ich lenkte den voll beladenen Familienbus schweigend durch die tiefe Nacht.
    » Ein Jüngling liebt ein Mädchen «, trällerte der Bariton. Ich summte mit. » Der hat eine andere gewählt … «
    »Wie findest du eigentlich die Melanie?«, fragte ich beiläufig.
    »Sie ist sehr nett«, antwortete Emil.
    »Der andere liebt eine andere …«
    Ich griff schweigend nach dem Kaffeebecher. Emil reichte ihn mir. Ich trank.
    »Also, wie du willst, Emil. Du kannst zu Hause bleiben oder weiter mit nach München kommen. Was dir lieber ist.«
    »Brauchst du mich nicht mehr?«
    »Ich hab im Traum geweinet«, sang der Bariton im Hintergrund . »Mir träumt, du verließest mich …«
    O doch, Junge. Und wie ich dich brauche. Das ist schon unanständig, wie sehr.
    »Klar. Ich bin natürlich froh, wenn ich wenigstens Paulinchen bei mir habe …«
    »Ich wachte auf, und ich weinte noch lange bitterlich.«
    »Doch, Emil. Ich brauche dich.«
    So. Jetzt war es heraus. Ich war froh, wenn ich ihn bei mir hatte. Warum, wusste ich auch nicht.
    »Ich hab im Traum geweinet, mir träumte, du wärst mir noch gut. Ich wachte auf, und noch immer strömt meine Tränenflut …«
    Verrückt. Ein neunzehnjähriger Bengel, der Cola trank und Kaugummi kaute und fast nichts sprach. Was fand ich an ihm? Und was fand der an mir? Warum nutzte er nicht seine Freizeit, um in die Disco zu gehen oder ins Kino oder sonst wohin, zum Sport vielleicht, wo halt junge Kerls mit Schirmkappe und Coladose so hingehen.
    Zu Hause hatten Senta und ich wiederholt versucht, ihm seine Freizeit attraktiv zu gestalten. Ich hatte ihn zu der Wohngemeinschaft geschleppt, die gegenüber hauste: acht junge Sportstudenten, voll abgefahren irgendwie, alle mit Schirmkappe und Coladose, die spielten unentwegt Fußball und Beach-Volleyball und Badminton, die fuhren Rollerblades und Skateboard, dass es eine Freude war. Aber Emil mochte sich nicht zu ihnen gesellen. Senta hatte sämtliche schönen Töchter ihrer Freundinnen, die solche im heiratsfähigen Alter hatten, mit Emil zusammengebracht. Wir hatten die jungen Leute ins Kino gefahren und in die Disco, ich, mit meinem Baby am Busen und meinen Gummizughosen, hatte alles getan, um die schüchternen Kinder anzuheizen. Ich hatte ein Mountainbike für Emil besorgt und Rollerblades, ich hatte ihn sogar für teures Geld im Fitnessclub am Stadtwald angemeldet. Dort tummelten sich tausend gut gebaute Heftchen im nabelfreien Outfit. Eigentlich benahm ich mich wie Oda-Gesine: Ich organisierte mit aller Gewalt meines Nächsten Glück.
    Aber Emil ließ sich nicht organisieren. Er hockte am liebsten bei mir. Schweigend. Unauffällig. Wie ein Schatten. Er war da, einfach so. Es schien ihm nichts auszumachen, dass ich so meine Marotten hatte. Und die hatte ich reichlich.
    Erstens mixte ich mir zweimal täglich einen kalorienarmen Eiweißtrunk mit Magermilch. Der Mixer lärmte

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