Der gemietete Mann: Roman (German Edition)
die Berge waren zu hoch, und wir saßen in einem Funkloch. Es regnete in Strömen. Drei Grad.
»Da oben ist ein Haus«, sagte Emil.
Ja. Da leuchtete ein Licht. Ich fuhr vorsichtig von der Autobahn runter und über eine schmale, gewundene Straße in Richtung Haus. Es war eine Polizeistation. Und drinnen brannte Licht.
»Na, großartig. Warte hier. Ich werde die Bullen fragen, was das soll mit dem geschlossenen Gotthard.«
Als ich ausstieg, schlug mir schneidende Kälte entgegen. Nebelschwaden zogen durch die Nacht. Es regnete Bindfäden. Oder war das Schnee?
Ich ging beherzt zu der Tür, hinter der das Licht brannte. Zu. Ich rüttelte. Zu! Schon wieder eine geschlossene Tür, an der ich rüttelte, dieweil Nacht war und anständige Leute schliefen. Ich rüttelte verzweifelt. He! Ihr Schweizer Polizisten! Aufmachen! Entweder den Gotthardtunnel oder wenigstens diese Tür!
Doch nichts rührte sich. Niemand weit und breit. Dieses Licht brannte nur, weil jemand vergessen hatte, es auszumachen.
Zehn nach drei. Bitterkalt. Nebel. Schneeregen. Vier unschuldige, schlafende Kinder und ein unschuldiger Au-pair- Junge im Auto. Und sonst keine Menschenseele. Ich hätte heulen können. Verdammt! Warum mussten mir immer solche Sachen passieren?
Wütend stapfte ich zum Auto zurück. Emil hatte inzwischen das Paulinchen aus seinem Sitz befreit und hielt es wärmend im Arm.
»Gib her!« Ärgerlich ließ ich mich auf meinen Sitz fallen und schob den Pullover hoch. Eine Gänsehaut überzog mich. Paulinchen saugte dankbar. Emil breitete schweigend eine Decke über uns.
»So ein Mist!«, hob ich an zu schimpfen. »Warum sagt denn kein Schwein im Radio, dass der verdammte Tunnel geschlossen ist!«
»Wir hatten immer nur Kassetten an«, gab Emil zu bedenken.
In dem Moment erwachte auch das Katinkalein. »Mama, wo sind wir? Ich will zu Senta! Ich will in den Kindergarten!«
»Ach, das hat mir gerade noch gefehlt. Senta ist nicht hier, Mäuslein. Bitte schlaf.«
»Nei-en! Ich kann nicht schlafen! Ich will ein Plätzchen! Ich muss Pipi!«
Emil sprang auf, trug das Kind zum Pipimachen in die Büsche und versorgte es anschließend mit einem Plätzchen. Dann schnallte er Katinka wieder an, wickelte die Wolldecke um sie und streichelte sie beruhigend. Schweigend. Mein Gott, wie hatte ich so einen Mann verdient? Er kontrollierte noch, ob die Großen im hinteren Teil des Vans gut zugedeckt waren, zupfte Decken und Anoraks zu Recht und setzte sich dann wieder neben mich auf den Beifahrersitz.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte ich hilflos. Als wenn der arme, unschuldige Emil gewusst hätte, was man vor geschlossenen Alpentunneln nachts um drei macht! Essen gehen oder ins Kino oder was?
Emil zuckte die Schultern. »Warten?!«
Na, großartig. Warten. Ich erwog kurz die Möglichkeit, über den Gotthardpass zu fahren. Aber wenn es hier unten schon drei Grad kalt waren, war dort oben mit Sicherheit Glatteis. Zumal es immer weiterregnete. Wir hatten natürlich keine Winterreifen. Und ich würde den Teufel tun, als unerfahrene Großstädterin mit einem Kleinbus voller Kinder über einen gefährlichen Alpenpass zu fahren. Bei Nebel und im Dunkeln.
»Also warten.« Ich nahm das Paulinchen vorsichtig vom Busen ab. Emil streckte schon automatisch die Hände danach aus. Drei Monate lang hatte er nichts anderes gemacht, als mir beim Stillen zuzusehen und anschließend die Hände nach dem Kind auszustrecken. Er erneuerte dem schlafenden Mäuslein sehr geschickt und in Windeseile die Pampers, wickelte es in Schlafsack und Wolldecke, schnallte es wieder an und steckte ihm den Schnuller in den Mund. Fertig. Außer einem plätschernden Wasserfall ganz in der Nähe hörte man nur das zufriedene Schnorcheln von vier Kindern.
Ich versuchte, mich zu entspannen. Leider gab es nur noch eine Wolldecke. Emil breitete sie sehr fürsorglich über mich.
»Und du?«
»Ich friere nicht.«
»Noch nicht! Aber bestimmt bald!«
»Ich kann draußen rumlaufen!« Emil öffnete bereits seine Tür. Ein eiskalter Lufthauch zog herein.
»Nichts machst du! Hiergeblieben! Außerdem gibt es hier den gemeinen Waldschrat, der fängt gerne Frischfleisch und frisst es auf!«
Emil schloss die Tür wieder. Das Innenlämpchen im Auto erlosch. Ich reichte ihm einen Zipfel Wolldecke.
»Los. Mach schon. Zier dich nicht. Ich tu dir nichts.«
Emil lächelte schwach. Das hatte er wahrscheinlich sowieso nicht gefürchtet, dass ich ihm was tat.
Welch eine verrückte Situation,
Weitere Kostenlose Bücher