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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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minutenlang. Zweitens musste ich immer meine Stunde Gymnastik machen. Im Wohnzimmer. Dann breitete ich meine heißgeliebte rote Wolldecke aus, schob die Sessel und den Tisch beiseite und riss alle Fenster auf. »Wir stellen uns in die Grätsche und spannen Bauch- und Gesäßmuskeln fest an«, das hatte er bestimmt schon hundertmal mit anhören müssen! Es musste ihn doch anöden! Aber dann saß er mit dem Baby im Arm auf dem Sofa und schaute meine ersten zwanzig Sendungen »Wört-Flört«. Ganz leise. Um mich beim Beineschwingen und mein Töchterchen beim Schlafen nicht zu stören. Sämtliche Aufzeichnungen von »Wört-Flört« schaute er sich immer wieder an, während ich mich im Hintergrund über die Wolldecke wälzte. Zuerst war mir das schrecklich peinlich, ich wollte nicht, dass dieser junge, gut gewachsene Mensch mit ansehen musste, wie ich mich quälte, meine Problemzonen abzuarbeiten, aber es schien ihm nichts auszumachen. Er hielt es für ebenso selbstverständlich, dabeizusitzen, wenn ich turnte, wie er beim Essen oder Zähneputzen der Kinder dabeisaß. Es wurde ihm anscheinend nie langweilig.
    Er wollte einfach nur in meiner Nähe sein.
    Das Einzige, wozu ich ihn bewegen konnte, war, mit mir in die Oper zu gehen. So hatten wir uns schon viermal »Tosca« reingezogen und dreimal »La Bohème«. Wir entwickelten uns zu totalen Puccini-Fans. Und Alban Bergs »Wozzeck« fanden wir geil. »Hat er wieder in die Ecke gepißt – Wozzeck?!«
    Ist das denn gut für so ’nen Jungen? dachte ich, wenn der Kerl mit seinen verwaschenen Jeans und der Schirmkappe neben mir im Opernfoyer stand.
    »Du siebest mich an wehmütiglich …«
    Verrückt. Wir waren wie ein glückliches altes Ehepaar, das zwar wenig miteinander sprach, bei dem aber alles völlig selbstverständlich ablief. Eingespielt. Schweigend. Freundlich. Völlig ohne Gereiztheit.
    Und nun saß er neben mir im Auto und war wieder mal einsilbig. Aber unbeleidigt einsilbig. Und das ist etwas Herrliches zwischen zwei Menschen.
    »Du sagst mir heimlich ein leises Wort und gibst mir den Strauß, den Strauß von Zypressen. Ich wache auf, und der Strauß ist fort, und’s Wort hab ich vergessen.«
    »Also?«, fragte ich.
    »Ich komme wieder mit nach München«, sagte er. Ponkt.
    Um Mitternacht passierten wir in Basel die Grenze. Die Beamten warfen einen müden Blick in unseren Wagen: vier Kinder, schlafend, eine Mutti am Steuer und ein junger Kerl auf der Beifahrerseite. Weiterfahren.
    Der Mond leuchtete pflaumenbäckig.
    Weit und breit war kein Auto auf der Straße. Weder fuhr vor uns eins, noch kam eins von hinten, um uns zu überholen, noch kam uns eins entgegen.
    Nur Emil und ich waren auf der Welt.
    Und vier schlafende Kinder.
    Und ein pflaumenbäckiger Mond.
    Wir hörten inzwischen Kiri Te Kanawa mit Strauss-Liedern.
    »Du meines Herzens Krönelein, du bist von laut’rem Golde. Wenn andere daneben sein, dann bist du erst viel holde. Die andern tun so gern gescheit, du bist gar sanft und stille. Dass jedes Herz sich dein erfreut, dein Glück ist’s, nicht dein Wille.«
    An einer Verzweigung fuhr ich Richtung Luzern. Die 205
    Schweizer haben keine Autobahnkreuze, die haben Verzweigungen. Und dann muss man sich innerhalb von Sekunden entscheiden: entweder links halten oder rechts. Und wer bei einer Verzweigung pennt, hat Pech gehabt.
    Schön, dachte ich. Jetzt düse ich durch die Nacht, den ganzen Stall voller Kinder, und wir haben es warm und gemütlich, das Auto schnurrt, es gibt überhaupt keinen einzigen Menschen in dieser Nacht außer Emil und den Kindern und mir. Und Emil hält die Klappe und guckt unter seiner Schirmmütze geradeaus. Und gleich sind wir am Vierwaldstätter See. Ich würde gerne anhalten und dir die alte hölzerne Brücke zeigen, Emil. So was gibt’s doch bei euch in Südafrika nicht. Der Mond leuchtete. Der gute alte Mond. Häwelmann fuhr.
    In Luzern war es ganz still. Ich suchte den See.
    »Sind wir schon da?«, fragte Emil.
    Es war halb zwei.
    »Nein. Ich will dir nur was zeigen.«
    Wir fuhren schweigend durch die Stadt. Alles tot, alles still. Wenige Laternen. Still ruht der See.
    Ich hielt an und stieg aus.
    »Komm!«
    »Aber die Kinder?!«
    »Schlafen.«
    Emil rappelte sich hoch. Ich sah die Konturen seines Gesichtes, seiner Schirmkappe, seiner Kapuze am Sweatshirt als Schatten an einem Haus. Unglaublich vertraut.
    Leise schloss ich den Wagen ab.
    Der Mond warf gigantische Strahlen auf das schwarze Wasser, das wie ein Spiegel

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