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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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streichelte, während ich ein grauenvolles Erlebnis schilderte.
    »Warst du … dabei?«
    Jetzt riss er sie mir weg. O Gott. Das war zuviel. Völlig plump! Bloß jetzt nicht über den armen Jungen herfallen. Keine plumpen Fragen. Keine voyeuristischen Anflüge. Schnauze. Geduld!
    Wir schwiegen. Die Kinder schnorchelten. Der Wasserfall prasselte. Die Nebelschwaden zogen zwischen uns und der Polizeihäuschenwand vorbei. Unaufhaltsam. Der Zeiger der Uhr im Auto tickte grausam langsam. Was sollte ich nur machen? Aussteigen? Rumlaufen? Oder schweigend sitzen bleiben? Was sagen? Nichts sagen? Fragen? Seine Hand wieder nehmen? Meine Güte, ich fühlte mich so hilflos und schwerfällig! Das Einzige, was ich sicher spürte, waren meine eiskalten Füße.
    Nach etwa fünf Minuten sagte Emil plötzlich: »Ich war dabei. Und auch noch mein Bruder.«
    Damit warf er mir seine Wolldeckenhälfte ins Gesicht, sprang auf, riss die Tür auf und rannte in die Dunkelheit.
    Ich musste wohl eingenickt sein.
    Jedenfalls schrak ich hoch, als jemand heftig gegen das Autofenster klopfte.
    »Ja?« Irritiert schaute ich nach rechts. Nein, kein Emil. Leer der Sitz. Die Thermoskanne stand noch offen auf der Ablage.
    Links draußen am Fenster ein struppiger, verregneter Kopf unter einer orangefarbenen Kapuze. Ein Straßenarbeiter vermutlich. Kurzer Blick auf die Uhr: zehn vor sieben. Es war immer noch stockdunkel.
    Ich kurbelte das Fenster runter. Sofort dröhnte der Wasserfall lauter. Feuchte Morgenkälte drang herein. Hinten wachten die Kinder auf.
    Der Mann steckte neugierig sein schmutziges Antlitz zum Autofenster rein. Aha. Eine Mama, vier Kinder, kein Mann.
    »Wasse hiere mache?«
    Der Kerl hatte einige Gerätschaften dabei, Spitzhacke, Spaten und grobe Handschuhe. Damit konnte er uns alle gut erschlagen, ohne Fingerabdrücke zu hinterlassen. Mir war verdammt mulmig.
    »Wir haben ein Nickerchen gemacht.«
    »Was Nickachene?«
    »Schlafen. Wir haben geschlafen. Der Gotthard ist zu.«
    »Aha. Kein Gelde für Hotele, hä?« Er entblößte einige gelbliche Zahnstummel.
    Ich war mir nicht sicher, ob ich die Scheibe schnell wieder hochkurbeln sollte. Wo war hier in diesem verdammten Kleinbus noch mal die Zentralverriegelung?
    »Ah, si, Gottardo chiuso!« Er grinste ein grausames Grinsen. »Bis morga geschlosse bleipe Tunnälle. Oda!«
    »Was?! Der bleibt geschlossen? Warum denn?!«
    »Mama, wo sind wir?«, meldete sich Karl. »Sind wir endlich da?«
    Paulinchen erwachte ebenfalls und rieb sich mit dem Fäustchen ein paar Mal heftig die Nase. Das tat sie immer, wenn sie erwachte. Sie verschmierte damit ihren ganzen Rotz gleichmäßig im Gesicht. Normalerweise sprang immer Emil mit einem Feuchttuch herbei. Aber diesmal nicht. Von Emil keine Spur.
    »Bauarbeite«, sagte der Waldschrat.
    »Ach, du Scheiße«, entfuhr es mir.
    »Hahaha«, lachte der italienische Schrat. »Mama gutt Wortä fluchä. Hähähä!«
    »Mama, dann fahren wir eben nach Hause«, sagte Karl. »Hier ist es bescheuert.«
    Katinka wachte auf, starrte in das rußgeschwärzte fremde Gesicht und entschloss sich zu heulen. »Ich will zu Senta! Ich will in den Kindergarten!«
    Ich drehte mich halb nach hinten und drückte ihr das weiche, warme Händchen. »Bald gehst du wieder in den Kindergarten!«
    Der Waldschrat lachte grässlich. »Nix Radio hörre, wasse?« Seine Zahnstummel sahen furchterregend aus.
    »Nee«, sagte ich frustriert. Nur Schumanne-Krame unde Brahmse-Schnulze. Selpe schulte! »Scheiße!« Ich schlug in meiner ganzen hilflosen Wut auf das Lenkrad ein. Ich wollte den Motor anlassen und wegfahren, aber das ging ja nicht wegen Emil! Außerdem lehnte dieser Unmensch im Fenster.
    Der Waldschrat lachte noch grässlicher. »Kinde Ängste, hä?!«
    Ja, klar, Mann, guck doch mal in den Spiegel! Rein optisch würde der gut zu Oda-Gesine passen. Der definierte sich auch nicht über Äußerlichkeiten.
    In dem Moment tauchte noch ein zweiter Schrat auf. Ich fühlte mich augenblicklich besser. Zwei Schrate erschienen mir nicht so gefährlich wie einer.
    »Haben Sie einen jungen Mann gesehen?«, fragte ich.
    »Wasse junge Manne? Hä?«
    Die Zwei schrien sich einige italienische Brocken zu und knallten ihre Gerätschaften auf einen offenen Lastwagen.
    »Ein junger Mann! Gehört auch noch zu uns!«, schrie ich aus dem Autofenster. »Wenn Sie ihn sehen, sagen Sie ihm, er soll zurückkommen! Ich will hier nicht Wurzeln schlagen!«
    Von uns schienen sie keine weitere Notiz mehr nehmen zu

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