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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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dachte ich, während wir vor die Wand des Polizeihäuschens blickten. Da sitz ich hier mit einem blutjungen Kerl unter einer Wolldecke, draußen prasselt der Regen, wir sind die einsamsten Menschen ringsum.
    Und ich weiß fast nichts von ihm, außer dass er hilfsbereit ist und liebevoll, fürsorglich und genügsam. Aber ist das denn gut für so’n Bengel? Immer mit einer stillenden Altmutter rumzuziehen, die entweder auf der falschen Party schlecht moderiert oder vor geschlossenen Tunneln im Kalten steht?
    Ich wollte jetzt keinen Brahms und keinen Schumann mehr hören. »Erzähl mir was von dir«, forderte ich wenig geschickt.
    »Was soll ich erzählen?« Klar, dass die Antwort kommen musste.
    »Was machst du beruflich, was machst du in deiner Freizeit, wie sieht deine Traumfrau aus?«
    »Von Beruf möchte ich Ingenieur werden. Mein Vater ist … war auch ein Ingenieur, und meine Traumfrau bist du.«
    »Hahaha«, sagte ich. »Sehr witzig. Wieso war dein Vater Ingenieur? Ist der tot?«
    »Ja, tot.«
    Ich richtete mich abrupt auf. In seiner Bewerbung hatte nichts davon gestanden. Vater, Mutter, vier Geschwister, ich hatte ja Fotos gesehen! Ein netter junger Vater, kaum vierzig, für einen Mann kein Alter. Heile Welt. Eine strahlende Bilderbuchfamilie. Der Vater war mir sogar besonders aufgefallen. Sportlich, schlank, braungebrannt. Einen Bart hatte er. Jeans und Turnschuhe und Schirmkappe. Wie Emil. Nur ausgewachsener.
    Der Vater tot? Wie? Wann?
    »Emil! Das hast du gar nicht erzählt! Wann ist das passiert?«
    »Vor fünf Monaten.«
    »Das war ja direkt vor deiner Abreise!«
    »Jou.«
    Ich schluckte. Sollte ich jetzt noch was nachschieben?
    »Emil?« Ich nahm vorsichtig seine Hand. Sie war schweißnass und eiskalt. »Möchtest du darüber reden?«
    »No, Mam.«
    Ja, verdammt, Junge! Was mach ich denn jetzt mit dir? Da schleppst du seit Monaten deine Trauerarbeit mit dir rum, und ich weiß davon überhaupt nichts? Mein Gott, mit wem kannst du denn sprechen, wenn nicht mit mir?
    Ich fühlte mich schrecklich schuldbewusst. Alles hatte sich immer nur um mich gedreht, um meine Sendung, um mein Outfit, um meine Gymnastik, um meinen Misserfolg, um meine Einschaltquoten, um meine Marktanteile, um mein Befinden, um meine Problemzonen, um meine schlaflosen Nächte. Und Emil war nichts als mein Schatten gewesen. Dabei hatte er viel schlimmere Probleme als ich!
    Ich knetete seine Hand, als könnte ich damit irgendetwas wiedergutmachen.
    »Emil, ich bin kein guter Freund für dich gewesen, obwohl du jetzt einen gebraucht hättest! Ich kann das nicht gut, und gerade im Moment, wo ich mit ›Wört-Flört‹ so zugestopft bin, da hab ich überhaupt keinen Blick und kein Gefühl für dich entwickelt. Es tut mir schrecklich leid!«
    »Ist O.K.«, sagte Emil. Er zog seine Hand nicht weg.
    Wir saßen da, unter einer Wolldecke, und unsere Worte formten sich zu kleinen weißen Dampfwölkchen, und außer dem Schnorcheln der Kinder hörte man in der Nähe nur einen Wasserfall auf Felsen prasseln. Sonst nichts.
    Draußen zogen Nebelschwaden vorbei.
    »Möchtest du darüber sprechen?« Mein Gott, wie blöd ich dieses alternative Psychogeschwafel fand! Aus meinem Mund klang das wie alte Pappe.
    »No, Mam.«
    Tja. Klar. Zurückweisung erster Klasse. Fast hätte ich ihm die Hand entzogen. Aber ich durfte jetzt einfach nicht beleidigt sein.
    Emil schwieg. Seine Augen starrten ins Leere. Um die Lippen herum war er schneeweiß.
    »O.K., Emil, entschuldige!« Hilflos streichelte ich dem großen Kerl über die Wange. Unregelmäßiges Bartgestoppel. Und ein paar späte Pickel. Kinder, nein, wie geht man nur mit so einem Bengel um? Wenn man ihn, verdammt noch mal, so ins Herz geschlossen hat wie ich!
    Ich zwang mich, nichts mehr zu sagen. Ich starrte auf das blöde Polizeihäuschen, in dem unverzagt das Licht brannte, und auf mein Armaturenbrett. Wenn es jetzt wenigstens ganz dunkel wäre! Dann könnte man vielleicht leichter über diese Dinge reden. Wir waren der langen, kalten Nacht ziemlich erbarmungslos ausgesetzt.
    Ob ich doch noch mal die Strauss-Kassette abspielen sollte? Nur so? Um dieses peinliche Schweigen zu übertönen?
    »Er ist verunglückt«, sagte Emil plötzlich. Er musste sich räuspern, weil seine Stimme so belegt war.
    Mein Herz klopfte laut. Wie entsetzlich! Was sollte ich dazu sagen? Wir hielten uns immer noch an der Hand. Sollte ich sie streicheln? Nein. Ich selbst könnte das auch nicht haben, wenn mir jemand die Hand

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