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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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verschlafen zu haben. Fegefeuer geschwänzt. Das gehörte natürlich bestraft.
    Die Energische klappte meine Bettdecke zurück und erschrak: Da lagen immerhin noch zwei schlummernde Kinderlein.
    »Psst!«, machte ich. »Bitte gehen Sie wieder!«
    »Das geht aberr hierr nichcht, odr!«, bellte die Bademeisterin. »Entweder Sie nehmen die Sache ernst, dann machen Sie jetzt einen Einlauf, odr, oder Sie lassen es sein. Dann können Sie aberr nichcht mitfasten. Ganz und gar nicht! Oddrr!«
    »Bitte! Psst! Vorhang zu!«
    Aber die Bademeisterin kannte kein Pardon. Sie klatschte mir ihre kalten, stinkenden Lappen um den Leib, wickelte mich ein, dass ich fast keine Luft mehr bekam, und hängte dann wild entschlossen einen Zweiliterbottich mit Schlauch an den Fenstergriff. Das Ende des Schlauches hielt sie drohend in der Hand.
    »Sie wissen, wie das geht?«
    »Nein! Mitnichten! Was soll ich …«
    »Soll ich Ihnen helfen?«
    »Nein! Bitte nicht!« Himmel! Schick diesen Drachen weg!
    »Drehen Sie sichch mal auf die Seite!«
    Die Kinder wachten auf und fingen beim Anblick der Bademeisterin und dessen, was sie tat, an zu weinen.
    »Das haben Sie jetzt davon!«, schimpfte ich.
    »DAS GÄHT NICHT! ODR! Entwäder Sie entläären nun vorschriftsmäßick Ihren Darrm«, keifte die Bademeisterin und machte sich mit geschickten Griffen an meinem Hintern zu schaffen, »oder Sie machen hier Familienurlaub. So. Odr!«, stellte sie dann sachlich fest und knallte die Tür hinter sich zu.
    »Emil!«, schrie ich hilflos.
    Emil erschien augenblicklich mit verstrubbeltem Kopf und verschlafenem Blick und nahm die beiden Mädchen tröstend in den Arm.
    »Du siehst toll aus«, spöttelte er.
    Ich hätte gern einen Heublumensack nach ihm geworfen, aber damit hätte ich meine Kinder verletzt. Emil schenkte mir ein herzliches Grinsen und schleppte meine Töchter in seine schlafwarme Höhle.
    Ich lag da und starrte an die Decke.
    Ach, Oda-Gesine, dachte ich wutentbrannt. Was hast du mir da eingebrockt? Ich hasse dich, Oda-Gesine, dich und deine Nougatriegel und deine hündische Abhängigkeit von diesem Herrn Bönninghausen und seinem verlogenen Schönheitsideal, denn entweder man isst Nougatriegel, dann sieht man aus wie Oda-Gesine Malzahn, oder man isst keine, dann kann man vor Herrn Bönninghausen und sieben Millionen Zuschauern bestehen. Oh, es ist alles so verlogen, ich hasse das grässliche, oberflächliche Getue, ich hasse die Image-Umfragen und die Einschaltquoten, ich hasse dieses zwanghafte Schönseinmüssen und Schlankseinmüssen, alles nur, damit Leute wie Marga Siever und die anderen verärgerten »Wört-Flört«-Gucker ihren Groll gegen mich vergessen. Dabei ist es deine persönliche Abrechnung, Oda-Gesine, dein ganz persönliches Problem mit dir und der Welt, damit habe ich nichts zu tun!
    Weiter konnte ich nicht denken. Weil dann die Wirkung der Entschlackungsmaßnahmen einsetzte.
    Gegen sechs Uhr gesellte ich mich widerwillig zu den kneippenden Herrschaften im Bade, die lustvoll ihre Oberarme in eiskaltes Wasser tauchten und dabei orgiastisch stöhnten. Immerhin gab es einen netten schweizerischen Masseur namens RRRüdigerrr, der einen tätschelte und knetete und keine überflüssigen Fragen stellte.
    Um sieben Uhr meditierten wir alle über Kerzen und Kieselsteinen, und Annegret betete mit halbgeschlossenen Augen, wie schwer unsere Arme seien und wie leicht und unbeschwert unsere Verdauungsorgane. Alle Schlacken und Gifte seien nun dabei, aus unserem Körper zu schwemmen, und alle belastenden Gedanken würden gleich mit herausschwemmen, und wir würden ein neuer Mensch sein, wenn diese drei Wochen vorbei wären. Amen.
    »Stellt euch nun eine Landschaft vor«, meditierte Annegret gütig, »in der ihr euch wohl fühlt. Malt sie euch bis ins Detail aus. Wie ist der Boden beschaffen? Weide, Wüste, Sandstrand, Wiese, Sumpf?«
    Ich überlegte. Der einzige Ort, der mir immer wieder vor das innere Auge kam, war das Studio von »Wört-Flört«. Hier gab es keine Jahreszeiten, keinen Wind und keine Sonne, keinen Regen und keinen Duft. Wie war der Boden beschaffen? Linoleum, mattglänzend, mit Fußspuren und Klebestreifen.
    »Wie ist der Himmel? Strahlend blau? Wolkenverhangen?«, sang Annegret mit sanfter Stimme Psalmen.
    Der Himmel. Ich konnte mich an keinen Himmel erinnern. Nur an Studiolampen an Eisenstangen unter einer schwarzen Decke. Hunderte, Tausende von Studiolampen. Die, wenn sie brannten, so heiß waren, dass einem der Schweiß über

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