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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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richtig tief und sorglos durchgeschlafen hatte.
    Als ich wenig später zurück zur Meditationsstätte eilte, hatte sich die Gruppe bereits aufgelöst. Ein magerer, faltiger Almöhi im Bademantel, bis in die Knochen Vollwertapostel und Gesundheitsfreak, kam mir geschäftig auf Badeschlappen entgegengeeilt. In den Händen hielt er ein paar grobe Bürsten und einen Handschuh aus Heu und aus Stroh. Damit wollte er sich oder gar andere sicher abrubbeln. Er hatte so was Unternehmungslustiges in den Augenwinkeln, so was von Vorfreude auf Schmerz und Entsagung! Ich hatte ihn vorhin beim Apfelverabschieden beobachtet. Mit welcher Hingabe und Liebe er das getan hatte! Er war bestimmt ein Meister im Fasten und Entsagen. Was machen Sie beruflich? Ich faste und entsage. Was machen Sie in Ihrer Freizeit? Ich faste und entsage. Macht das Spaß? O ja! Und wie! Und wie sieht Ihre Traumfrau aus? Kate Moss. Der kleine Hunger.
    Ich stellte mich dem Abgehärteten in den Weg und fragte beherzt: »Wo findet denn jetzt die Fastengruppe statt?«
    »Wir machen gerade kalte Waschungen mit Essigwasser«, teilte er mir im eiligen Weitertrippeln mit. Gott, diese Vorfreude!
    »Och, da schließ ich mich Ihnen einfach mal an«, sagte ich leichtherzig. Genau. Da war mir jetzt nach. So eine kalte Waschung mit Essigwasser brachte mich bestimmt wieder nach vorn. Nach der zweiten durchfahrenen Nacht.
    Wir schlurften emsig durch Gänge und Flure, und schließlich kamen wir in die weiträumige Badeabteilung dieses luxuriösen Hotels. Die Fastenleiterin war auch da. Sie stand rosagewandet im Nebel zwischen weißen Kacheln und Bottichen und beaufsichtigte das vorschriftsmäßige Eintauchen der Fastenmitglieder in kaltes Essigwasser. Als sie mich erspähte, begrüßte sie mich hocherfreut.
    »Herzlich willkommen in der Fastengruppe!«, rief sie aus und schüttelte mir sehr lange die Hand. »Ich bin die Annegret, und wir sagen hier alle du!«
    »Na prima«, sagte ich, »ich bin die Karla, und der Gotthard war leider geschlossen, deshalb komme ich einen Tag später.«
    »Macht nichts, du kannst immer noch bei uns mitmachen«, freute sich die Annegret, und dann kam schon eine dickliche Bademeisterin und befahl mir auf schweizerisch, meine Sachen auszuziehen und in ein Spind zu legen und einen groben Bademantel überzustreifen, damit wir endlich mit dem Einwickeln in kalte Essigtücher beginnen könnten, ODDR!
    Ehe ich mich versah, war ich genauso nackt wie alle anderen Herrschaften hier im Raum. Doch keiner schenkte meinen Problemzonen einen mitleidigen Blick. Alle waren andächtig damit beschäftigt, ihre eigenen Problemzonen in Bottiche zu tunken, die mit eiskaltem Essigwasser gefüllt waren. Ein Stöhnen und wohliges Aufseufzen ging durch den Raum. Dann lag ich auch schon, übel nach Essig stinkend, in ein sperriges, kaltes Laken gehüllt, auf einer Pritsche. Vorsichtig sah ich mich um. Es waren außer mir etwa ein Dutzend Leute in so ein knarrendes Laken eingewickelt, und keiner hatte damit ein Problem. Also beschloss ich, mich zu entspannen.
    Annegret begann gerade mit der Fastenmeditation. Sie erinnerte mich an die Vorbeterin in der Kirche, eine besonders fromme Frau mit Glaubensgut im Nacken.
    »Ich bin ganz ruhig«, betete Annegret, die Fastenleiterin, »alles Störende und Überflüssige verlässt unseren Körper.«
    Amen, hätte ich fast gesagt.
    »Ich fühle, wie mein rechter Arm ganz schwer wird, ich fühle meinen Ellbogen aufliegen, ich fühle meine Finger der rechten Hand, jeden einzelnen Finger spüre ich, und alle Finger atmen Leben, reines, energiegeladenes Leben, es atmet mich, und mit jedem Atemzug füllt sich jede Zelle mit Frische.«
    Das Einzige, was sich schwer und voll anfühlte, was mit Energie und Leben und Kraft geladen war, war mein Busen. Und genau das durfte ja wegen der Einschaltquoten nicht mehr sein. Aber das ging hier natürlich keinen was an.

Mittags versammelten wir uns wieder im Garten im Kreise. Die livrierten Kellner servierten uns durchgeseihte Gemüsebrühe im silbernen Kelch. Wir löffelten sie andachtsvoll und sprachen nicht viel. Sie schmeckte so ähnlich wie der Babytee, den Emil mir manchmal kredenzte.
    Ich ließ meinen Blick über die Gruppe schweifen. Da waren ein paar gestählte, zähe, magere Altmänner, die hier wahrscheinlich um die Wette fasteten, wenn sie nicht barfuss auf dem Matterhorn herumjoggten. Dann saßen da ein paar dickliche Damen, die ganz offensichtlich überflüssige Pfunde loswerden wollten.

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