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Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Der gemietete Mann: Roman (German Edition)

Titel: Der gemietete Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
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Die plauderten auch ungehemmt über ihren gestrigen Stuhlgang und über das Glaubersalz, das man ihnen heute verabreichen würde. Ein paar gestresste Manager, mit tadellos gestuftem Haarschnitt und totem, leerem Blick, einem Wohlstandsbauch und grober Haut vom Rauchen und vom Trinken, wollten bestimmt auch mal dringend in sich gehen und den Sinn des Lebens neu ergründen. Außer ein paar blutleeren, blassen Fräuleins, die in ihrem wahren Leben bestimmt auch nur Vollwertbratlinge und Tofuburger aus dem Reformhaus zu sich nehmen, war noch ein Zwillingsschwesternpaar da, um die Sechzig etwa, davon war die eine ausgezehrt und mager und die andere richtig fett. Es sah zum Totlachen aus. Aber Totlachen war hier sicher nicht erwünscht. Und schließlich war da noch ein Ehepaar, der Mann knochig und durchtrainiert und die Frau rund und gesund. Die Beiden fasteten gewiss aus Liebe gemeinsam, genau wie das Zwillingsschwesternpaar.
    Wir diskutierten ein wenig über das Gefühl, das dieser Essigwickel um die Brust in uns ausgelöst hatte. Annegret regte an, dass wir in den nächsten drei Wochen immer ganz offen und intensiv unsere Gefühle erspüren sollten und uns auch nicht scheuen dürften, darüber zu sprechen.
    »Fasten ist ein unserem Leben innewohnendes Prinzip«, betete sie. »Früher haben die Menschen monatelang gefastet, wenn sie nichts zum Jagen hatten. Heute isst der Mensch dreimal am Tag und stopft Dinge in sich hinein, die der Körper nicht braucht und die den Organismus vergiften!«
    Ich dachte an Oda-Gesine und an die »Wört-Flört-Törts« und nickte heftig. Nein, nie, aber auch niemals wollte ich so enden. Lieber nahm ich das alles hier auf mich.
    Die durchgeseihte Gemüsebrühe war alle. Und Nachschlag gab’s nicht.
    Wir kratzten noch ein bisschen in den grünen Kräutlein herum, die am Tellerrand klebten.
    Annegret beendete ihre Predigt mit der Anregung, fortan Buße zu tun und nun zwecks innerer Einkehr einen Mittagsschlaf zu halten, mit einem Heublumensack auf dem Bauch, das würde den Verdauungsapparat beruhigen und auch auf das Glaubersalz vorbereiten, das wir heute Abend im Fegefeuer zu trinken bekommen würden.
    »Iiih«, machten einige dickliche Damen und schüttelten sich. Die gestählten Almöhis straften sie mit verächtlichen Blicken. Die sich liebenden Fastenden drückten einander tapfer die Hände und schenkten sich aufmunternde Blicke.
    Wir meditierten noch ein bisschen über einigen Kieselsteinen und Kerzen, wobei wir uns an den Händen hielten – ich hielt an der einen Seite den schweigenden, sehnigen Ehemann und an der anderen Seite die fette Zwillingsschwester –, und dann durften wir uns zurückziehen.
    Emil hatte inzwischen mit den Kindern im Garten gespielt, im Swimmingpool geplanscht und anschließend fürstlich gegessen. Er genoss es, in einem so luxuriösen Hotel zu sein. Es war für mich sehr beruhigend zu wissen, dass er mit den Kindern umging wie ein großer Bruder. Ich konnte mich voll und ganz auf ihn verlassen. Soeben hatte er Katinka in mein Bett gelegt. Sie streckte ihre Hand nach mir aus. Mit der anderen Hand hielt sie sich den Schnuller unter die Nase, um daran zu riechen.
    Ich war bleiern müde. Diese Essiglake auf meinem Busen hatte mir den Rest gegeben. Ich sank auf mein Bett, nahm mein Paulinchen in den einen Arm und Katinka in den anderen und ließ Paulinchen noch ein bisschen ungiftige Restmuttermilch saugen und fühlte dieses innige Glück eines stillmutterhormongeschwängerten Zusammenseins noch ein letztes, letztes Mal und weinte ein bisschen auf meinen Heublumensack und flehte noch meine männlichen Jungkälber an, irgendwo anders Fußball zu spielen als im Garten vor meinem Fenster, und dann schlief ich augenblicklich ein.
    Es klopfte.
    »Hm? Was? Emil? Komm rein!« Ich war völlig verpennt. »Wie viel Uhr ist es?«
    Die resolute schweizerische Bademeisterin auf Plastiklatschen kam unternehmungslustig ins Zimmer gestürmt und riss die Vorhänge auf.
    »Es ist fünf Uhr früh, odr?! Zeit für den Essigwickäll und den Einlauf, odr?!«
    »Was?« Ich hatte seit gestern Nachmittag geschlafen?
    Das durfte doch nicht wahr sein! Jetzt schlief ich einmal, EINmal, und meine Kinder schliefen auch, alle gleichzeitig, was von einem hohen Seltenheitswert war.
    Und da kam diese Unperson mit ihrem ESSIGWICKEL!!! Und was sollte das bedeuten, Einlauf? Ich hatte keinen bestellt. Andererseits schien ich den ganzen gestrigen Nachmittag samt Meditation und Glaubersalzdreingabe

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