Der General und das Mädchen
auch jeder Erfahrung.« Sie war wieder wütend.
»Die NATO braucht nicht morden zu lassen. Sie macht einfach ihren großen Eisschrank auf. Also: Deine Geschichte.«
»Da!« sagte sie erschreckt mit großen Augen. »Da an der Mauer schleicht was!«
»Das ist Kleopatra, eine Kreuzotter.«
»Eine Giftschlange im Garten?« fragte sie entsetzt.
»Es ist mein Garten und meine Kleopatra, und sie wird dich niemals beißen, vorausgesetzt, du trittst ihr nicht auf den Schwanz.«
»Darauf verläßt du dich?«
»Ja.«
»Du kannst keine Ahnung von Frauen haben. Und was ist, wenn Krümel sie in den Schwanz beißt?«
»Krümel ist eine hochintelligente Katze, sie beißt nicht so ohne weiteres in fremde Schwänze.«
»Du bist ein engstirniger, arroganter Macho.«
»Die Frauen haben mich so erzogen. Los jetzt.«
Sie legte sich umständlich zurecht. »Was ich von der Geschichte des Generals weiß, ist meine eigene Geschichte. Weniger eine Geschichte, eher eine Katastrophe. Mein Vater würde sich im Grabe herumdrehen ... Ich bin Jahrgang 1956. Mein Vater war evangelischer Pfarrer in Berlin. Er war mein Halleluja-Mann. Er lebte mit himmlischen Heerscharen und jubilierenden Engeln und der gewaltigen Streitmacht Gottes und so. Mami war ursprünglich wohl auch so, jedenfalls war sie eine Pfarrerstochter. Die Ehe mußte furchtbar gewesen sein, jedenfalls zu dem Zeitpunkt, als sie mich zeugten. Über unserem Leben hing das Zitronenwort. Wenn ich später mit Mami kicherte und alberte, pflegte sie zu sagen: Beißen wir schnell in eine Zitrone, Kind, damit Papi nicht merkt, wie wohl wir uns fühlen. Sie hatten sich meilenweit auseinander entwickelt. Papi wurde immer himmlischer, und Mami entdeckte irdische Wohltaten, zum Beispiel den eigenen Körper, den Orgasmus und was weiß ich. Papi bekam dann einen Krebs am Magen und am Darm. Er starb einen elenden Tod, ich war zwanzig, hatte gerade mein Abitur gemacht und war in jeder Beziehung eine Jungfrau. Mami erholte sich ziemlich schnell und wurde in der Frauenbewegung aktiv, was auf gut deutsch heißt, daß sie bald als eine unerschrockene Feministin galt. Sie benutzte diesen Feminismustrubel, um mit wahnwitziger Geschwindigkeit ein Bataillon von Liebhabern zu verschleißen. Ich guckte fasziniert zu. Angeekelt war ich aber auch ...«
»Germaine, sie haben Otmar Ravenstein erschossen. Du erzählst mir hier die Geschichte von deiner leistungs-bumsenden Mutter. Ich brauche aber die vom General!«
»Aber seine Geschichte ist meine Geschichte«, erwiderte sie traurig.
»Du kannst mir deine Geschichte später erzählen. Wir haben keine Zeit, versteh das doch! Wann tauchte er auf?«
»Ja, ich verstehe.« Sie streichelte die Wolldecke. »Also, ich lebte in einer Wohngemeinschaft in Schwabing. Ich war vierundzwanzig, keine Rede mehr von Studium. Ich hatte ein bißchen Medizin gemacht, dann Philosophie. Aber eigentlich diskutierte ich mehr über den Kaloriengehalt von männlichem Samen als über Kant und Bloch. Dann tauchte der General auf.« Ihre Stimme war sanfter und leiser geworden, als versuchte sie herauszufinden, ob sie diese Germaine von damals wohl leiden könnte. »Wir waren in irgendeiner Disco und amüsierten uns über ihn. Er war allein, und er lachte für sich allein. Hast du ihn mal lachen sehen? Ich weiß noch, man merkte deutlich, wie scheißegal wir ihm waren. Er saß am Nebentisch, trank Sekt und klopfte den Takt zur Musik. In meiner Clique war einer namens Ulrich, ein ziemlich aggressiver Typ aus dem Sauerland. Der ärgerte sich über die fröhliche Gelassenheit dieses nicht mehr jungen Mannes, ging an seinen Tisch und fragte ihn, ob er nicht seine Schwester kaufen wolle. Otmar sah ihn lächelnd an und fragte, ob er denn nicht seine dumme Schnauze halten könne. Wörtlich. Da wollte der Ulrich dem General an den Kragen und lag plötzlich mit zwei gebrochenen Armen auf der Tanzfläche.«
»Bist du ganz sicher, daß du in der Erinnerung nichts verherrlichst?«
»Nein, nein, das war genau so. Was der General mit Ulrich getan hatte, bezog ich auf mich. Ich dachte plötzlich: Wir sind eine kleine, miese, traurige Truppe voller Scheißangst, das Leben endlich wirklich zu leben. Zu der Zeit war Otmar Lehrer an der Bundeswehrakademie in München und schon irgend etwas Haushohes bei der NATO. Das war 1980/81.«
»Ihr wurdet also Freunde.«
»O ja, ich habe ihn nicht mehr aus den Klauen gelassen.
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