Der General und das Mädchen
unfruchtbar, der Arzt habe es mir bestätigt. Ja, und dann reiste ich rum. Ich hatte ja mittlerweile viele Bekannte, und zunächst bekam ich Geld von Homer. Dann zahlte er irgendwann nicht mehr, und ich saß auf dem Trockenen. Ich wollte zum General.«
»Und du hattest Angst, zu ihm zu gehen, weil du noch immer nicht erwachsen bist?«
»Ja, so ähnlich.«
»Ich glaube, du bist erwachsen. Du bist nur noch nicht traurig genug, es zuzugeben.«
Sie erwiderte nichts, sie starrte zur Seite aus dem Fenster. Schließlich murmelte sie: »Weißt du, deine Eifel ist schön. Was treibst du hier so?«
»Ich lebe und fühle mich wohl.«
»Bist du ein Aussteiger?«
»Das ist ein plattes Wort. Nein, bin ich nicht. Ich habe nur gefunden, was ich suchte.«
Sie schwieg eine Weile. Sie wußte, wir würden gleich da sein. Unvermittelt fragte sie: »Hätte ich Otmars Tod verhindert, wenn ich gleich zu ihm gegangen wäre?«
»Auf keinen Fall. Du wärst jetzt bloß auch tot. Denk an Carlo und den alten Mattes.«
Wieder folgte ein Schweigen, so dick und fühlbar wie alter Zigarettenrauch. Sie starrte aus dem Fenster. Dann zeigte sie ganz aufgeregt zum Himmel: »Was ist das für ein Vogel?«
»Ein Bussard. Er hat etwas unter sich entdeckt, eine Maus wahrscheinlich. Er stößt gleich runter.«
Ich mußte sie wieder zum Thema zurückbringen. »Sag mal, was war mit Frauen bei dem General?«
»Er hatte welche, aber er war sehr diskret. Er hatte eindeutig keine Schwierigkeiten mit dem weiblichen Teil der Bevölkerung. Seepferdchen seufzte manchmal: Sie telefonieren mir die Bude ein.«
»Waren die Russen an ihm dran?«
»Mit Sicherheit. Die luden ihn dauernd ein. Sie wußten, daß er ein scharfer Kritiker der NATO war, und sie wollten rausfinden, was er dachte und wußte. Aber er ging nie hin. Und zweimal im Jahr machte er ein neues Testament.«
Ihre Gedankensprünge machten mich langsam nervös, aber ich blieb still und steuerte konzentriert in die schmalen Kehren oberhalb von Jammelshofen.
Sie plapperte weiter. »Seine Kinder sollten den Pflichtteil bekommen, mehr auf keinen Fall. Es dauerte lange, bis er herausgefunden hatte, wieviel das ist. Ich bin übrigens auch eine Erbin.«
»Was erbst du?«
»Geld. Ziemlich viel. Aber auf diese Weise wollte ich es niemals bekommen«, setzte sie heftig hinzu.
Wir waren da. Ich parkte den Wagen an den ersten Büschen des Besenginsters, und wir gingen den Hang durch den Hochwald hinunter zu dem Haus, das von hier wie ein großer Felsbrocken aussah, viel mehr wie ein Fremdkörper als früher. Es war niemand da, niemand zu entdecken, der uns entdecken konnte.
Die Siegel ähnelten denen vom Zoll. Über die kleinen Bleiplomben waren zusätzliche Papiersiegel geklebt, mit dem Bundesadler und der Aufschrift Staatsanwaltschaft^
Der, der vor uns im Haus gewesen war, hatte den dünnen Draht der Plombe unmittelbar unter dem pfenniggroßen Bleistück abgeknipst. Es war kaum zu sehen.
Ich schloß auf und ließ sie vorangehen, aber sie blieb nach dem ersten Schritt stehen und sagte atemlos: »Um Gottes willen!« Dann machte sie einen Schritt beiseite, trat dabei auf einen Haufen Bücher und fiel fast hin. »Diese Schweine!« sagte sie in die Stille.
»Wir haben keine Zeit«, sagte ich schnell. »Geh zum Wagen. Im Handschuhfach liegt eine Nikon. Und bring meinen Kassettenrecorder mit.«
Wer immer es war, hatte brutal und gründlich gearbeitet. Sie hatten Dielenbretter herausgebrochen und dann irgendwo liegen lassen. Sie hatten sogar Bretter aus der Deckenverkleidung gestemmt, die elektrischen Heizkörper auseinandergeschraubt, jedes Buch aus den Regalen geholt und ein paar der fest eingebauten Regale herausgerissen und auf einen Haufen geworfen. Sie hatten sogar die Ledermöbel an den Nähten aufgeschlitzt, um zu sehen, was der General darin versteckt haben mochte.
Im Bad war der Spiegelschrank über dem Handwaschbecken aus der Wand gerissen und hing nur noch an den dünnen Strippen der elektrischen Leitung. Die Verkleidung der Badewanne war abgeschraubt, ein kleiner Medizinschrank lag zertrümmert auf dem Boden. In der Küche hatten sie die Einbaumöbel von den Wänden gezogen und in alle Einzelteile zerlegt. Jemand hatte zwei der Stufen aus der Wendeltreppe ausgebrochen, um zu entdecken, daß deren Achse massiv war.
»Was jetzt?« Sie stand unten am Eingang und hielt die Kamera und das
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