Der Genesis-Plan SIGMA Force
Wunde. Leblose schwarze Augen erwiderten Khamisis Blick, weit aufgerissen, wahrscheinlich vor Schreck. Die Lefzen waren vor Angst oder Schmerz von den Zähnen zurückgezogen. Die breite Zunge schaute aus dem Maul, darunter war eine getrocknete Blutlache. Das alles aber war unwichtig.
Er wusste, worauf es ankam.
Das lange, gebogene Horn über den schaumbedeckten Nüstern war unversehrt.
»Eindeutig kein Wilderer«, sagte Khamisi.
Sonst hätte er das Horn mitgenommen. Das war der Hauptgrund für den immer noch rasanten Niedergang der Population. In pulverisierter Form wurden Rhinozeroshörner in Asien als Mittel gegen erektile Dysfunktion verkauft, ein homöopathisches Viagra. Schon ein einziges Horn erbrachte ein kleines Vermögen.
Khamisi richtete sich auf.
Dr. Fairfield war am Hinterteil des toten Nashorns in die Hocke gegangen. Sie hatte Plastikhandschuhe übergestreift, das Gewehr lehnte an ihrer Schulter. »Sieht nicht so aus, als hätte sie eine Geburt hinter sich.«
»Dann gibt es also kein verwaistes Kalb.«
Die Biologin richtete sich auf und ging wieder zum Bauch. Sie bückte sich, hob ohne jede Scheu einen Teil der Bauchdecke an und langte ins Körperinnere.
Khamisi wandte sich ab.
»Warum wurde der Kadaver noch nicht von Aasfressern blank genagt?«, fragte Dr. Fairfield, ohne mit ihrer Tätigkeit innezuhalten.
»Das ist eine Menge Fleisch«, murmelte Khamisi. Er ging noch einmal um das tote Rhino herum. Die Stille war unheimlich und ließ die Hitze umso drückender erscheinen.
Die Frau setzte ihre Untersuchung fort. »Ich glaube nicht, dass das der Grund ist. Der Kadaver liegt seit gestern Abend hier, ganz in der Nähe des Wasserlochs. Die Schakale hätten wenigstens den Bauch ausräumen sollen.«
Khamisi musterte wieder den Leichnam. Er starrte das abgerissene Ohr an, den aufgerissenen Hals. Etwas Großes hatte das Nashorn erlegt. Und schnell war es gewesen.
Ihm sträubten sich die Nackenhaare.
Ja, wo steckten die Aasfresser eigentlich?
Bevor er weitere Überlegungen anstellen konnte, meldete sich Dr. Fairfield zu Wort: »Das Kalb ist weg.«
»Was?« Er drehte sich um. »Eben haben Sie doch gemeint, es gebe keine Anzeichen einer Geburt.«
Dr. Fairfield richtete sich auf, streifte die Handschuhe ab und nahm wieder das Gewehr in die Hand. Den Blick auf den Boden gerichtet, entfernte sie sich ein paar Schritte von dem Kadaver. Khamisi bemerkte, dass sie einer Blutspur folgte. Ein Raubtier hatte seine Beute über den Boden geschleift, um sie ungestört zu verzehren.
Herrgott noch mal …
Er folgte der Biologin.
Am Rand des Gehölzes schob Dr. Fairfield mit dem Gewehrlauf ein paar tief hängende Äste beiseite. Jetzt sah sie, was aus dem Bauch hervorgezerrt worden war.
Das Rhinokalb.
Der magere Körper war in einzelne Teile zerrissen, als hätten sich verschiedene Tiere darum gebalgt.
»Ich glaube, das Kalb hat noch gelebt, als es aus dem Bauch gezerrt wurde«, sagte Dr. Fairfield und zeigte auf das verspritzte Blut. »Das arme Ding …«
Khamisi wich zurück. Er musste an eine Bemerkung der Biologin denken. Warum hatten die Aasfresser das Nashorn nicht ausgeweidet? Die Geier, Schakale, Hyänen und selbst die Löwen. Dr. Fairfield hatte recht. So viel Fleisch überließ man nicht den Fliegen und Maden.
Das ergab keinen Sinn.
Es sei denn …
Khamisis Herzschlag setzte aus.
Es sei denn, das Raubtier hielt sich immer noch in der Nähe auf.
Er hob das Gewehr. Plötzlich wurde ihm wieder die tiefe Stille bewusst, die in dem schattigen Gehölz herrschte. Es war, als fürchtete sich sogar der Wald vor dem, was das Nashorn getötet hatte.
Während er reglos auf der Stelle verharrte, prüfte er die Windrichtung, lauschte, ließ den Blick aufmerksam umherschweifen. Er hatte den Eindruck, der Schatten ringsumher werde immer tiefer.
Khamisi war in Südafrika aufgewachsen und kannte den Aberglauben und all das Gerede über Geister und Ungeheuer, die angeblich im Dschungel ihr Unwesen trieben. Da gab es einmal den Ndalawo , den heulenden Menschenfresser aus dem ugandischen Urwald; das Mbilinto , ein elefantengroßes Flusspferd aus dem kongolesischen Feuchtland; und schließlich noch den behaarten Mngwa , der in den Kokospflanzungen an der Küste lauerte.
Bisweilen aber erwachten die Mythen in Afrika zum Leben. Wie beim Nsui-fisi . Das war ein gestreiftes, menschenfressendes Monster aus Rhodesien, das von den weißen Siedlern lange Zeit als Legende abgetan worden war … bis man irgendwann
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