Der Genitiv ist dem Streber sein Sex • und andere Erkenntnisse aus meinem Leben 2.0
das als «Hau ab!».
Gut, ich habe noch nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich kein Berlin-Fan bin. Ich war zum Beispiel nach der Wende dagegen, dass die Regierung nach Berlin umzieht. Mein Gegenvorschlag: Stattdessen zieht einfach Berlin um, zum Beispiel nach Polen. Ist ja nicht weit, und die Polen hätten sich bestimmt über so ’ne rattenscharfe Trendsetter-Metropole gefreut.
Einmal, als Berlin und ich uns gerade kennenlernten, habe ich eine Stadtrundfahrt mit einem Touristenbus gemacht. Das war kein guter Anfang. Nicht genug, dass der Potsdamer Platz ganz offensichtlich entstand, indem sich fünf Architekten nach dem Mauerfall zusammengesetzt und gefragt haben: «Okay, wir haben hier sehr viel Platz und sehr viel Geld – was wäre das Schlimmste, was wir damit anstellen könnten?» Nein, jede Sehenswürdigkeit in Berlin trägt auch noch einen Spitznamen, von denen uns der übermotivierte Berliner-Schnauzen-Experte, der unseren Bus fuhr, keinen einzigen ersparte: «Ditte is dit Haus der Kulturen der Welt, aber weil et wie ’ne dicke Muschel aussieht, nennen’s die Berliner ‹Schwangere Auster›» – «Ditte is dit Kanssleramt, aber weil et vorne so rund is, nennen’s die Berliner die Kansslerwaschmaschine!» Spätestens nach dem «Goldelse» genannten Friedensengel wollte ich das Lenkrad an mich reißen und mit der gesamten Besatzung nach Köln fahren, nur um dann eine Runde um den Dom zu drehen und zu sagen: «Das hier ist der Kölner Dom, aber weil er aussieht wie ein Dom, nennen die Kölner ihn auch den Kölner Dom!»
Gut, die Wohnsituation in Berlin hat Vorteile. Ich habe sogar schon mal kurz überlegt, mir eine von diesen 100-qm-Altbauwohnungen für 400 Euro im Monat anzumieten. Aber nur, um einen Monat später Mietminderung geltend zu machen. Einfach nur, weil die Wohnung in Berlin steht.
Über die Menschen in Berlin möchte ich nicht schlecht reden, denn die haben es wirklich nicht leicht. Vor allem die 20- bis 40-jährigen Berufs-Trendsetter. Für die gibt es nämlich eine Art Einheits-Leben, das man sich überstülpen muss, sobald man nach Berlin zieht. Frauen müssen einen Pagenschnitt, lange Schals und Filzmäntel tragen und heißen ab sofort Franziska, Mia oder Jorinde. Männer haben gar keinen Namen, dafür einen dünnen Oberlippenbart und Röhrenjeans. Tagsüber müssen Mia und der Oberlippenbart in einer Event-Agentur arbeiten. Mit Ausnahmegenehmigung dürfen sie auch ein undergroundiges Szenecafé eröffnen, das man unter keinen Umständen in weniger als 45 Minuten U-Bahn-Fahrt erreichen darf. Abends müssen die Berliner dann auf Partys in besetzten Häusern polnisches Bier oder irgendwas mit Holunder und Zitronengras trinken. Am nächsten Tag veröffentlichen sie einen Text in ihrem Blog darüber, der dann von 18-jährigen Nachwuchsautorinnen geklaut wird. Wie gesagt, kein schönes Leben.
Bei meinem letzten Besuch in Berlin ist dann etwas passiert, das mich sehr verstörte. Ich stieg aus dem Zug aus, und die Sonne schien. Im Oktober! In Berlin!
«Okay, Berlin», sagte ich, «du hast das vielleicht nicht bemerkt, aber ich bin jetzt da. Leg los. Weißt schon, taubeneigroße Hagelkörner und so!»
Aber Berlin hat mich nur freundlich angelächelt und gesagt: «Herzlich willkommen. Wie wär’s mit einer Spree-Rundfahrt? Oh, Vorsicht, Hundekacke! Nicht reintreten!»
Ich war verwirrt. Wenn Berlin auf einmal einen auf freundlich macht, ist das, wie wenn sich ein nasser Duschvorhang an dich schmiegt. Ich habe deshalb kurz überlegt und dann das einzig Sinnvolle gemacht: Ich bin direkt wieder in den Zug gestiegen und zurück nach Köln gefahren. Tut mir leid, aber das war mir unheimlich. So schnell kriegt Berlin mich in keine Röhrenjeans.
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DIE SCHWEINEBRATEN - VERSCHWÖRUNG
Ein Freund von mir hat seiner Nachbarin, einer sehr gutmütigen älteren Frau, mal erzählt, wie wahnsinnig gerne er Schweinebraten isst. Ab diesem Zeitpunkt bekam er alle vier Wochen von ihr einen perfekt zubereiteten Schweinebraten geschenkt. Er fand das auch ganz großartig, aber vor einigen Jahren kam er einen ganzen Monat nicht dazu, den Braten zu essen, und hatte ihn noch immer im Kühlfach, als der nächste anrückte. Wegschmeißen wollte er ihn nicht. Zumindest nicht in die hauseigene Mülltonne, aus Angst, die gute Nachbarin könnte den Braten finden. Glücklicherweise hatte er sich an dem Tag über «Gayromeo» (das ist eine Kontaktbörse im Internet, so eine Art schwuler
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