Der Genitiv ist dem Streber sein Sex • und andere Erkenntnisse aus meinem Leben 2.0
gerannt, klammern sich an je ein Bein des Vaters und singen dabei: «Wie schön, dass du geboren bist!» Man streicht den Kindern dankbar durchs Haar und küsst die Gattin. Vor dem Küchenfenster fliegt ein kleiner Spatz vorbei, dem jemand ein «Happy Birthday!»-Spruchband an die Füßchen gebunden hat. Und dahinter formiert sich ein Schwarm Zitronenfalter flatternd zu einem Herzen.
Soweit die Disney-Version. In der echten Welt quält man sich mit Schmerzen im Rücken und gelbem Schmodder in den Augen aus dem Bett, schleppt sich in die Küche, wo niemand einen Kaffee gemacht hat, weil niemand da ist, schaltet das Morgenmagazin ein, sieht Wulf Schmiese und schaltet das Morgenmagazin schnell wieder aus. Herzlichen Glückwunsch.
Während die Gattin, der Spatz und die Zitronenfalter mir nicht besonders fehlen, gibt es doch eins, das ich vermisse, und das sind die Geburtstagskarten. Kein Mensch schreibt heute noch Geburtstagskarten, zumindest keiner unter fünfzig. Man schreibt höchstens eine Geburtstags-E-Mail.
Am Morgen meines dreiunddreißigsten Geburtstags fand ich 23 Nachrichten in meinem Posteingang. Die ersten 19 waren Glückwünsche per Facebook. Immerhin. Aber jemandem per Facebook zum Geburtstag zu gratulieren, ist ein bisschen, wie jemandem über die Straße ein «Hallo!» zuzurufen und dann schnell weiterzurennen, weil man sich eigentlich gar nicht mit ihm unterhalten will. Ich weiß das, ich habe selbst schon vielen Menschen per Facebook gratuliert.
Mail Nummer 20 war von einer Internet-Zoohandlung. «Herr Barth, Sie haben Geburtstag! Deshalb gratulieren wir von Tierplus.de Ihnen ganz herzlich und schreiben Ihnen bei Ihrer nächsten Tiernahrungs-Bestellung 500 Gramm feinsten Rinderpansens gut!»
Und schon schmeckte auch der Kaffee nicht mehr so richtig.
Die nächste Mail war von der Deutschen Bahn. «Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Geburtstag, Herr Barth! Wir wünschen Ihnen alles Gute und schenken Ihnen zum Geburtstag 50 Bahnbonus-Punkte!»
Danke, Deutsche Bahn! Legt sie einfach zu den anderen sieben Phantastilliarden Bahnbonus-Punkten, die ich in den letzten zehn Jahren gesammelt und noch nie eingelöst habe. Irgendwann wollte ich mir mal für all die Punkte ein Gratisticket holen. Dazu muss man aber, wenn ich mich richtig erinnere, an einem ungeraden Kalendertag zwischen 9 Uhr 15 und 9 Uhr 17 rückwärts ins Reisezentrum gehopst kommen und dabei die Marseillaise pfeifen, sonst hat man die Einlöse-Bedingungen nicht erfüllt und wird ohne Ticket wieder nach Hause geschickt.
Die Geburtstags-Mail der Bahn ging aber noch weiter: «Klicken Sie hier und gestalten Sie Ihre eigene Geburtstagstorte!» Ich klickte und saß dann vor einer virtuellen Torte, die ich mit Hilfe einer virtuellen Sahnespritztülle, virtuellen Schokostreuseln und virtuellen Smarties gestalten konnte. Eine halbe Stunde starrte ich auf die undekorierte Torte, wie ich früher im Kunstunterricht auf meinen DIN - A 3-Block gestarrt habe. Und wie damals fiel mir absolut nichts ein. Um nicht meinen ganzen Geburtstag vor der Torte zu verbringen, malte ich schließlich mit der Sahnetülle einen kleinen Penis auf den virtuellen Schokoladenguss. «Seien Sie ruhig etwas detailverliebt», ermunterte mich die Deutsche Bahn, «denn einmal im Monat wird die schönste Torte ausgewählt und für den Gewinner gebacken.» Ich war also etwas detailverliebt, machte mit Hilfe der virtuellen Schokostreusel ein paar Haare an den Pimmel, war mir aber am Ende nicht sicher, ob ich damit meine Chancen wirklich erhöht hatte.
Mail Nummer 22 kam vom Tchibo Direct Service. Umrahmt von Fischen, einem Seepferdchen und einer Auster stand da auf tiefblauem Hintergrund:
«Warum läuft die Krabbe wohl so aufgeregt hin und her? Und auch die Fische tummeln sich fröhlich im Meer. Ob die wohl eine Überraschung planen? Natürlich, denn heute ist ein ganz besonderer Tag: Ihr Geburtstag! Klicken Sie hier, wenn Sie neugierig sind, was sich die Meeresbewohner für Sie ausgedacht haben!»
Ich war noch nie so un-neugierig. Ich war frustriert. Gab es denn wirklich niemanden, keinen echten Menschen, der an mich gedacht und mir eine Mail geschickt hatte?
Meine Hoffnungen ruhten auf der letzten Nachricht. Und tatsächlich fing die ein bisschen persönlicher an als die anderen:
«Lieber Herr Barth, mein Name ist Werner Rust, ich bin Geschäftsführer der BesserVersichert GmbH, und ich will Ihnen sagen: Heute ist ein wundervoller Tag!»
«Gott sei Dank,
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