Der Gentleman
Werbungen plumpster Art, mit denen die Männer rasch bei der Hand zu sein pflegen.«
»Ich habe Sie also gewissermaßen enttäuscht?«
»Enttäuscht auf die angenehmste Weise, ja.«
»Und wenn das nicht der Fall gewesen, wenn das von Ihnen Erwartete eingetroffen wäre?«
»Dann weilten Sie nicht mehr in diesem Zimmer. Ich weiß mich meiner Haut zu wehren. Entschuldigen Sie also bitte, wenn ich Ihnen gegenüber so schroff war, aber manche Vertreter Ihres Geschlechts haben mich schon gelehrt, mißtrauisch zu sein.«
Robert nickte und lächelte.
»Schon gut«, sagte er. »Ich verstehe Sie.«
Die Band im Radio, weit weg von diesem Zimmer, in einem Studio vielleicht sogar jenseits des Ozeans, spielte inzwischen auch einen Walzer.
Lucia Jürgens strich sich die Locken aus der Stirn. Sie fühlte sich plötzlich befreit von einem inneren Druck. Am liebsten hätte sie den Walzer mitgesummt und sich in seinem Takt durch den Raum gewiegt.
Und als ob Robert das gefühlt hätte, verbeugte er sich vor ihr und sagte: »Darf ich Sie um diesen Tanz bitten?«
Und sie tanzten – leicht, schwebend und hingegeben. Sicher führte er sie an den Stühlen vorbei, und sie schloß die Augen, lächelte, legte den Kopf weit in den Nacken, bis die schwarzen Locken sich über ihren weißen Hals kringelten; sie ließ sich treiben und wiegte sich in den Hüften; es war ihr, als sei sie losgelöst vom Boden und schwebe in der freien Luft inmitten der Töne.
Robert Sorant sprach kein Wort. Er schaute auf ihre roten Lippen, die den seinen nahe waren, auf ihre geschlossenen Augen mit den langen, gebogenen Wimpern, auf die schmale Nase, die hohe Stirn, die krausen Locken. Sein Blick glitt den schlanken Hals hinab zu den Schultern und der festen Brust, die sich deutlich durch das enganliegende Kleid abzeichnete, und er fühlte durch die Seide die Wärme ihres Körpers und atmete die Frische ihrer reinen Jugend.
Du bist ein Idiot, sagte er dabei zu sich selbst, ein unerhörter Idiot, zu denken, daß du hier den Schürzenjäger spielen kannst; hier hast du ein Heiligtum gewonnen, und es wird sich zeigen, ob du es würdig wahrst.
Plötzlich hielt sie im Tanz inne. Groß blickte sie ihn an.
»Wer sind Sie?«
»Heinz Robs.«
»Mag sein. Aber was sind Sie von Beruf?«
»Künstler.«
»Und was für ein Künstler?«
»Komponist.«
Lucia Jürgens schaute ihm tief in die Augen, so, als wolle sie die Lüge aus seinem Blick ziehen.
»Was komponieren Sie?«
»Alles.«
»Und hat man auch schon Werke von Ihnen aufgeführt?«
»Ab und zu.«
Es wurde ihm schwül in seiner Haut. Und nur um sie abzulenken, versuchte er ein Lächeln, als er fragte: »Und was sind Sie?«
»Malerin und Bildhauerin.«
»Ach, und so nebenbei Fotografin?«
»Ganz richtig, so nebenbei. Das ergibt, wie der Name schon sagt, meinen Nebenverdienst. Die Kunst selbst bringt noch nicht genügend ein, um davon leben zu können. Schließlich bin ich ja noch jung.«
»Sehr jung«, pflichtete Robert ihr bei.
Ihr Widerspruchsgeist regte sich.
»So jung nun auch wieder nicht. Ich bin immerhin 23 Jahre alt.«
»Als Künstlerin also quasi noch ein Embryo. Sie können ja kaum die Akademie verlassen haben?«
»Doch, vor einem halben Jahr.«
»Und wo war das?«
»In München.«
Robert wirkte überrascht, aber ehe er etwas sagen konnte, fiel sein Blick auf die Uhr: Sie zeigte die zweite Morgenstunde, und plötzlich regte sich sein schlechtes Gewissen. Er führte Lucia zu ihrem Sessel zurück und beugte sich über sie.
»Sie sollten mich doch besser hinauswerfen, Lucia.«
»Jetzt auf einmal?«
»Wenn Sie's nicht tun, raube ich Ihnen noch den ganzen Schlaf.«
»Viel ist da nicht mehr zu rauben«, antwortete sie lachend und fuhr fort: »Philosophieren Sie noch ein bißchen, ich höre Ihnen gerne zu.«
Sorant wußte nicht, was ihm an diesem Mädchen mehr gefiel – ihr freies, ungezwungenes Wesen oder die grenzenlose Ehrlichkeit ihres Gefühls. Und fast tat ihm das Mädchen leid, das sich in einen Traum einspann, aus dem unendlich schwer wieder zu erwachen war.
»Lassen wir die Philosophie«, schlug er ihr vor, nahm sich eine Zigarette und zündete sie an. »In einer solchen Nacht sollte man rechtzeitig damit aufhören, schwierige Gespräche zu führen. Die Musik, dazu die Luft von den Hügeln, der Duft von den Blüten im Garten – soll dies alles vergeudet werden an zwei Menschen, die dafür keinen Sinn haben?«
»Sie haben recht«, entgegnete sie leise und erhob sich.
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