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Der Gentleman

Der Gentleman

Titel: Der Gentleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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an seinem ersten Satz, den er überhaupt spricht, recht gut erkennen. Das sagte mein Vater oft, ein kluger Mann. Sie sprachen nicht vom Wetter, nicht von Altenbach, fragten nicht woher und wohin, verzichteten auf solches Blabla. Sie wollten wissen: ›Was lesen Sie da für ein Buch?‹ Später allerdings traktierten Sie mich mit der Moritat vom Wasserfloh und der Blattlaus. Das war freilich ein beträchtlicher Blödsinn. Welch extremer Mensch! dachte ich mir.«
    »So, dachten Sie sich das?«
    »Sie tragen eine Maske, Herr Robs, unzweifelhaft eine Maske. Es scheint fast, daß Sie selbst nicht Ihr wahres Gesicht kennen.«
    Sie schüttete sich ein wenig Tee nach. Aus dem Radio drangen die Klänge eines Tangos, schon des dritten hintereinander. Lucia versetzte ihren Tee mit Rum. Sie trank. Rum und Tangos vereinigten sich zu einer sichtbaren Wirkung auf Lucia, welche die Augen schloß und ein Weilchen nichts mehr sagte. Ihr Kopf lag an der Rückenlehne des Sessels.
    Robert verhielt den Atem. Dann meinte er leise: »Sie träumen, Lucia.«
    »Ich träume oft«, sagte sie, die Augen öffnend und sich ein bißchen aufrichtend.
    »Und was träumen Sie?«
    »Das Leben …«
    Da nahm er ihre Hand, küßte die Innenfläche und legte sie auf den Marmor des Tischchens – eine schmale, weiße, feingliedrige Hand, zerbrechlich und doch voll schlummernder Energien.
    Lucia Jürgens war unter dem Kuß zusammengefahren.
    »Gehört das auch zu Ihrer Philosophie?« stammelte sie, ließ aber die Hand auf dem Tischchen liegen.
    »Jetzt tragen Sie eine Maske, Lucia. Warum schon wieder diese Zurückweisung?«
    »Weil ich es so will. Ich kenne Sie nicht, Sie kennen mich auch nicht, die Nacht ist voller Gefahren, diese Einsamkeit hier, die Lockung und …«
    »… und dieser Frühling. Wir sind jung, haben ein Recht, alle Regeln zu verachten, die uns das Leben aufzwingen will. Und je mehr uns die Zukunft verschlossen ist, desto köstlicher ist unsere Pflicht, unsere Erlaubnis, die Gegenwart, den Augenblick zu genießen.«
    Langsam zog Lucia ihre Hand zurück. Ihre Augen waren im Schatten des Lampenschirms groß und schimmernd.
    »Sie sprechen wie Mephisto … aber ich bin kein Gretchen.«
    Robert Sorant stand auf und wanderte im halbdunklen Zimmer hin und her.
    »Man darf nicht sagen: Mephisto. Das Leben ist wert, gelebt zu werden, nur muß es dem einzelnen überlassen bleiben, wie er es sich gestaltet. Denn gerade das ist ja der Reiz unseres Lebens. Die Verlockung zu hören, ist schön, ihr zu folgen, Schwäche, aber aus ihr zu lernen, selbst zu locken – das ist der Nutzen einer stillen Einkehr. Leben heißt nicht nur kämpfen, entsagen und hinnehmen, sondern auch genießen, vergessen und träumen – ja träumen. Und man muß dann die Kraft haben, zu erwachen, ohne zu verzweifeln. Bringt der Mensch das fertig, so ist er reif, sein Leben selbst zu gestalten.«
    Er blieb an dem breiten Kamin stehen und strich mit den Fingern über die galanten Figuren einer Rokoko-Uhr.
    »Sehen Sie hier: spielerische Lebensfreude, tänzelndes Vergnügen. Die Menschen damals träumten ihr Leben als eine Flut der Sinne und Begierden, schufen so das ganze Rokoko und den Begriff der Kokotte. Sie trieben das aber zu lange, sie wollten nicht erwachen und gingen an ihrem Traum, ihrem Taumel zugrunde, als ein neuer Traum die Menschheit ergriff: die Revolution, der Sieg des Bürgertums. So lösen sich die Extreme ab; die einen schwanken, fallen, die anderen steigen empor, siegen. Und warum? Weil der Mensch im Grunde immer Mensch bleibt und eines nicht lernen kann oder will: sich selbst zu bezwingen.«
    Lucia Jürgens hatte ihren Tee kalt werden lassen und blickte unverwandt Robert Sorant an. Sie war gefangen von der ruhigen, klarsichtigen Art, mit der dieser Mann Probleme aufrollte, die eigentlich alle angingen, mit denen sich aber die wenigsten beschäftigten.
    Wer war dieser Mensch, der vor wenigen Minuten nichts als Ungezogenheit, Aufdringlichkeit und billiges Draufgängertum verkörpert zu haben schien, sich nun aber wirklich als eine Art ernstzunehmender Philosoph entpuppte. Welcher war der wirkliche ›Herr Robs‹, und welcher war der gespielte? Oder gehörten eben beide Ausgaben von ihm zusammen, zeigten sie sich als ein seelisches Kaleidoskop?
    »Warum sagen Sie nichts, Lucia?« fragte Robert und blieb vor ihr stehen. »Haben Sie von mir nicht eine Aussprache erwartet?«
    »Nein, das habe ich nicht, sondern ich erwartete, ehrlich gesagt, Zudringlichkeiten,

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