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Der Gentleman

Der Gentleman

Titel: Der Gentleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Roberts den Atem an. Kam jetzt der Moment, der eigentlich unvermeidlich war?
    »Warum bist du zu mir gekommen?« fragte sie ihn, vermied es jedoch, ihn dabei anzublicken.
    »Meine ursprüngliche Absicht kannst du dir doch denken, Lucia.«
    »Du betonst das ›ursprüngliche‹«, erwiderte sie. »Weshalb?«
    »Weil sich in der Zwischenzeit alles ganz anders entwickelte, als ich dachte.«
    Die Antwort darauf schien ihr schwerzufallen.
    »Das stimmt«, flüsterte sie, und der Kopf sank ihr auf die Brust. Tief Atem holend, fuhr sie aber nach kurzem fort: »Trotzdem möchte ich dir sagen, daß ich dich sofort geliebt habe, schon im Hotel, als ich dich sah. Ich hätte nie gedacht, daß mir so etwas passieren könnte; ich hielt mich gefeit gegen solche Dummheiten …«
    »Dummheiten?« unterbrach er sie.
    »Dummheiten«, nickte sie bekräftigend. »Sieh mich doch an, wie ich dastehe … hoffnungslos verliebt …«
    »Und ich?«
    »Du? Glaubst du nicht, daß bei dir das alles bei weitem nicht so tief sitzt?«
    »Lucia!«
    Es war ein Ausruf. Sie wartete darauf, daß er noch mehr sagte.
    »Lucia, ich …«
    Er brach ab, räusperte sich.
    »Warum verstummst du?« fragte sie ihn. »So sprich doch weiter, Heinz.«
    Dieses ›Heinz‹ setzte ihm mehr zu als alles andere. Das muß aufhören, schoß es ihm durch den Kopf. Wann werde ich Farbe bekennen? Wenn es nicht bald geschieht, bin ich ein Schuft.
    Im Moment freilich war nicht daran zu denken.
    »Lucia«, sagte er, sich noch einmal räuspernd, »du weißt genau, daß ich dich liebe …«
    »Belügst du dich nicht selbst, Heinz?«
    »Nein! Nein! Nein! Ich liebe dich!«
    »Als den Frühling.«
    »Jawohl, als den! Und als die Jugend!«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Weißt du, wie wenig das ist?«
    Robert krampfte die Hände ineinander. Jetzt fiel die Entscheidung, jetzt mußte sie fallen – in seinen Augen!
    »›Wenig‹ sagst du, Lucia? Wäre ein ›Mehr‹ nicht ein Unglück – für dich und für mich? Sieh, uns kommt das Glück entgegen. Wer weiß, wie lange es währt? Aber sollen wir es darum von uns stoßen, weil klar ist, daß es nicht ewig anhält? Das Leben teilt uns seine Gaben zu, und an uns liegt es, am Ende sagen zu können: Wir waren selig, trotz der Tränen, die das Glück forderte. – Und lieben wir uns heute, so laß uns dies tun, ohne zu fragen, ohne zu denken, ohne zu zweifeln. Laß uns die Augen schließen und träumen. Laß uns aber auch stark genug sein, in die Helligkeit der Wahrheit zu treten.«
    Lucia Jürgens hatte sich bei seinen Worten langsam herumgedreht und hob jetzt zaghaft beide Arme. War es Resignation? Wollte sie sich mit dem ›kleinen‹ Glück, von dem Robert sprach, begnügen? Oder glaubte sie plötzlich doch wieder an das große?
    »Heinz Robs«, flüsterte sie, »Heinz Robs, lehre mich das Träumen.«
    Da riß er sie in seine Arme und küßte sie, küßte sie wieder und wieder, bis ihnen beiden Zeit und Raum entschwanden. Und doch war eine Kluft zwischen ihnen, die jeder spürte: die Mahnung der Ehre vor sich selbst.
    Plötzlich ließ Sorant sie los. Lucia taumelte gegen die Brüstung des Balkons und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Zerzaust hingen ihr die Locken ins Gesicht. Dann sah sie Robert groß an. Sie blickte in das Gesicht eines Mannes, der sich bezwingen konnte.
    »Wir müssen vernünftig sein«, sagte er.
    Lucia sank in sich zusammen. Es war ihr, als hätte sich die Erde unter ihren Füßen geöffnet. Sie glaubte zu stürzen, aber sie zerschellte nicht. Weich fiel sie, wie auf Federn, und der Boden schien Samt zu sein.
    »Ja«, stammelte sie nur, »ja, wir müssen vernünftig sein.«
    Dann ging sie ins Zimmer zurück und sank in den Sessel am Kamin.
    Schweigend, den Kopf gesenkt, folgte ihr Robert Sorant.
    Die Uhr spielte ein Menuett, und auf dem Deckel drehte sich eine zierliche Tänzerin. Halb vier.
    Stumm saßen sich Lucia und Robert gegenüber, sahen aneinander vorbei, schienen in Gedanken versunken zu sein und waren dennoch nicht in der Lage, wirklich zu denken. Ins Zimmer drang vom Balkon her durch die offene Tür ein grauer Schein. Über den Hügeln, über den Wipfeln der rauschenden Wälder zeigte sich ein aufhellender Streifen. Der Morgen kam. Plötzlich schien sich Kälte im Zimmer breitzumachen. Lucia erschauerte und kreuzte die Arme über ihrer halbnackten Brust. Robert kaute an seiner Unterlippe. Wie breit war die Kluft zwischen ihnen, und wie unbändig stark war doch der Drang zueinander!
    Robert hatte

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