Der Gentleman
bemerkt, daß Lucia plötzlich unter der Kühle des Morgens litt. Er stand auf und schloß die Balkontür. Anschließend blickte er suchend im Zimmer herum, zog kurzentschlossen die Decke vom größeren Tisch, faltete sie zweimal und legte sie Lucia um die nackten Schultern. Die langen Fransen hingen ihr über der Brust, und vom Gelbweiß der Decke hob sich in scharfem Kontrast das schwarze Lockenhaar ab.
Sie ist hübsch, sagte sich Sorant, verdammt hübsch und deshalb gefährlich; sie ist von einer Schönheit, die willenlos macht.
Wo soll das noch hinführen? Wie wird es enden? Kann ich stark bleiben?
Groß und glänzend blickten ihn ihre Augen an. Sachte strich er ihr übers Haar.
»Du bist Malerin?«
»Ja.«
»Malst du auch Aquarelle?«
»Natürlich.«
»Ein Vorschlag von mir – wir arbeiten zusammen.«
»Wie bitte?«
»Wir arbeiten zusammen.«
Sehr fragend blickte Lucia ihn an.
»Wie soll das aussehen?«
Er zündete sich wieder eine Zigarette an, löschte das Streichholz, paffte ein paar Rauchwolken in die Luft, dann erwiderte er: »Ich habe ein Theaterstück geschrieben, d.h. als Komponist eine Oper, und dazu möchte ich den Bühnen neben der Partitur auch gleich die Entwürfe der Bühnenbilder einreichen. Es ist eine griechische Oper, so mit Tempeln, Stufen, Ornamenten, Deus ex machina und Göttern – verstehst du?«
»Schon, aber … aber«, stotterte Lucia, die verständlicherweise noch sehr mit ihrer Überraschung zu kämpfen hatte, »wie … um alles in der Welt … kommst du da auf … auf mich?«
Sorant war für seine Idee schon Feuer und Flamme. Er nickte eifrig.
»Ich denke mir das so: Wir können den ganzen Tag zusammen sein. Ich feile an meiner Oper, mache zu den Bildern die Rohskizzen, und du arbeitest diese aus in Aquarell, Tusche oder Tempera.«
Lucia Jürgens schüttelte den Kopf. Wie ein kleines Schulmädchen verzog sie ängstlich das Gesicht.
»Nein, Heinz«, stieß sie mit dünner Stimme hervor.
»Warum nicht?«
»Weil ich mir das nicht zutraue. Ich habe mich noch nie an so etwas gewagt. Bühnenbilder sind eine ganz andere Sache als alles, was ich bisher zeichnete oder malte. Die Raumgestaltung, Perspektiven, Beleuchtungseinbauten und dergleichen, all das ist mir fremd. Solche Dinge –«
»Wie viele Semester hast du studiert?« unterbrach er sie.
»Acht, aber –«
»Und dann traust du dir das nicht zu? Daß ich nicht lache!« Robert geriet noch mehr in Feuer. »Man muß von sich überzeugt sein, Lucia. Man muß sich stets sagen: Das kann ich, das will ich, das muß ich! Dann zwingst du das Leben. Ich kann dir ein tolles Ding von der alten Ufa in Babelsberg erzählen. Kam da eine Nachwuchsschaupielerin zum Produktionschef und bewarb sich um eine Hauptrolle. ›Nun aber langsam, mein Kind‹, sagte der Chef halb ärgerlich, halb belustigt. ›Daß Sie keine Vogelscheuche sind, sehe ich. Aber was haben Sie denn außer Ihrer hübschen Larve noch zu bieten? Was können Sie denn?‹ – ›Alles‹, sagte sie. – ›So, alles?‹ meinte er. ›Diese Rolle erfordert, daß sie reiten können …‹ – ›Kann ich‹, sagte sie. – ›Und Tennis spielen …‹ – ›Kann ich.‹ – ›Und Skifahren …‹ – ›Kann ich bestens.‹ – ›Und singen, tanzen und steppen …‹ – ›Kann ich alles.‹ – Das Mädel bekam die Rolle, unterschrieb den Vertrag, und als sie vor der Kamera stand, hatte sie ein süßes Gesicht, konnte auch einigermaßen spielen, war sexy – aber reiten, skifahren, singen, tanzen und steppen konnte sie nicht. Da sie jedoch gar so süß war und ein Liebling des Publikums zu werden versprach, brachte man ihr das alles schnell bei, dann konnte sie es wirklich und war in Kürze ein gefeierter Star.«
Lucia Jürgens hatte lächelnd zugehört. Ihr anfänglicher Zweifel an sich selbst schwand. Roberts Enthusiasmus verfehlte seine Wirkung nicht. Lucia schnippte also mit den Fingern und meinte: »Ich soll Bühnenbilder malen – einfach so?«
»Einfach so.«
»Und wenn ich jämmerlich versage?«
Robert tippte ihr mit der Spitze des Zeigefingers auf die schmale Nase und sagte: »Das wirst du nicht. Außerdem bliebe es unter uns beiden. Ich bin aber davon überzeugt, daß du im Gegenteil groß rauskommen wirst.«
»Groß rauskommen?«
»Sicher.«
»Und was erhielte ich pro Entwurf?«
Diese Frage bewies, daß Robert Sorant sein Spiel schon gewonnen hatte.
»Zweihundert Mark«, antwortete er nach kurzer Überlegung, »und siebenundfünfzig Küsse,
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