Der Gentleman
diese Zeit im Bett und – ja, man mußte es sagen – schnarchte.
Keine Frau ist vollkommen, und Gertis Makel war es, daß sie schlafenderweise jenes Geräusch produzierte, das von sich zu geben in der Regel Männern vorbehalten ist. Zum Glück hielt sich die von Gerti dabei entwickelte Phonstärke in Grenzen.
Robert Sorant zündete sich eine Zigarette an. Die Erinnerung an zu Hause hatte ihn ein wenig ernüchtert und sich auf sein Gewissen gelegt.
War es recht, was er hier tat? Betrog er wirklich seine Frau, wenn er ein Mädchen, das in ihrer Sehnsucht träumte, küßte? Oder verlief hier die Grenze zwischen Künstler und Bürger? Robert Sorant war mit sich selbst völlig uneins. Robert Sorant fragte die Gestirne. Da war es ihm, als lache ihn der Mond aus mit einem breiten, behäbigen Grinsen.
Leise regte es sich hinter ihm, und ein zarter Parfümduft umfing ihn. Zögernd legte Lucia Jürgens ihre schmale Hand auf seine Schulter.
»Warum kommst du nicht ins Zimmer? Woran denkst du?«
»An die Sterne.«
»An das Schicksal, das sie tragen, oder an die Sehnsucht?«
Sorant schloß die Augen.
»Ich denke an die Wünsche.«
Zart legte sie ihren nackten Arm um seinen Hals und kuschelte sich an ihn. Da war es Sorant, als friere ihn plötzlich, und eine merkwürdige, unerklärliche Angst stieg in ihm empor.
»Was würdest du tun«, fragte er sie, »wenn du ein Mann wärst, der glücklich verheiratet ist – sehr glücklich sogar …?«
Er brach ab, und es blieb eine Zeitlang still.
»Ich würde ihr treu bleiben«, entgegnete sie schließlich leise.
»Und wenn du nun ein Mädchen fändest, das du liebst, richtig liebst – liebst als die personifizierte Jugend und den personifizierten Frühling …?«
Wieder verstummte er.
Lucia schwieg.
»Du liebst beide«, begann er wieder, »das Mädchen und deine Frau, diese aber anders, nämlich als Menschen, als deinen Gleichklang, als Stütze deiner selbst – was würdest du da tun?«
Lucia schloß die Augen und dachte nach. Ihre Hand streichelte die Wange Sorants.
»Ich würde mich prüfen«, sagte sie endlich und betonte jedes Wort. »Mich selbst und mein Gefühl. Ich würde unterscheiden lernen zwischen Liebe und Leidenschaft, zwischen Flamme und aufflackernder Glut. Liebe ist etwas Heiliges, Leidenschaft ein Rausch. Bricht Liebe, brechen die beteiligten Herzen mit; bricht Leidenschaft, so zerrinnt eine Illusion. Liebe, wahre Liebe kennt nur Konsequenzen; Leidenschaften leben vom Leichtsinn.«
Robert Sorant wagte nicht, eine solche Entscheidung für sich zu fällen. Er wußte, es war ein Fehler, dieses Hin- und Herpendeln zwischen Gefühl und Pflicht, es war ein untragbarer Zustand … aber er liebte diese Lucia Jürgens, und er liebte Gerti, seine Frau. Wie sollte er herausfinden aus diesem Labyrinth der Gefühle? Zwar raunte ihm eine Stimme zu: Pack deine Koffer und fahre nach Köln zurück. Aber da war auch jene andere Stimme, die ihm zuflüsterte: Es ist Frühling, du bist jung, genieße das Leben mit allen Schönheiten.
Ja, es war Frühling. Und die Blumen dufteten, die Wälder rauschten, der Ginster leuchtete, und die gebrochene Scholle dampfte, gewissermaßen den Atem der Erde von sich gebend.
O Altenbach …
Robert Sorant legte seine Lippen in die Höhlung des Ellenbogens von Lucia und küßte dort die zarte Haut. Dann wanderte sein Mund den Oberarm empor und glitt über die Schulter zu ihrem Mund.
»Du bist der Frühling«, flüsterte er dabei wieder einmal, »und ich will dich als den Frühling lieben.«
»Und wenn der Sommer kommt?«
Eine kleine Angst zitterte in der Frage.
»Warum darüber nachdenken? Muß der Mensch bei der Liebe immer denken und denken? Kann er sich nicht einfach vom Gefühl treiben lassen? Warum an morgen denken? Wir leben den Tag heute, und wir wollen ihn richtig leben, taumelnd, glücklich, ohne den ungewissen Blick in die Zukunft. Solange uns die Gegenwart lacht, wollen wir glücklich sein und uns treiben lassen von den Gefühlen.«
Im Zimmer klang ein Glockenspiel auf, eine süße Hirtenweise der Rokoko-Uhr.
Lucia löste sich von Roberts Schulter und trat an die Brüstung des Balkons.
»Drei Uhr«, sagte sie. »Drei Uhr morgens. Und ich bin gar nicht müde.«
»Ist es nicht komisch, das Leben? Da sind zwei Menschen zusammen, die sich lieben – sind sich eine ganze Nacht so greifbar nah, und was tun sie? Sie reden und reden, bis sie ganz vergessen, daß sie auch etwas tun könnten.«
Lucia hielt bei diesen Worten
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