Der Gentleman
vor Ihnen der Glasermeister hier war und reinwollte. Fräulein Jürgens kann also nicht weit sein, wenn sie um diese Zeit den Handwerker bestellt hat. Deshalb glaube ich auch, auf sie warten zu können.«
»Ich aber nicht«, erklärte der Briefträger mit Bestimmtheit. »Ich muß weiter. Das Einschreiben bringe ich ihr morgen. Sie können ihr ja sagen, daß ich eines für sie habe.«
»Wird gemacht.«
»Auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen.«
Der Briefträger ging die Treppe hinunter, nachdem er noch einmal mit einem sehr tadelnden Blick die Leiter gestreift hatte, und verschwand.
»Idiot«, brummte Robert zornig, und das hatte der brave Briefträger gewiß nicht verdient.
Nun aber rasch!
Die Leiter gepackt, angelehnt, hinaufgeklettert, mit dem Stock innen nach der Klinke getastet – Robert tat dies alles in größter Eile. Und er hatte Glück, er er wischte die verdammte Klinke. Als der Stock auf sie stieß und Robert den Widerstand, der sich dabei ergab, spürte, stieg ein kleines, leises Stoßgebet aus Roberts Mund zum Himmel. Nun kam es lediglich noch darauf an, daß Lucia die Tür nur ins Schloß hatte einschnappen lassen. Hatte sie auch noch abgesperrt, war alles bisher Unternommene umsonst. Darum, daß sie das nicht getan hatte, bat Robert Sorant den Allmächtigen, dessen er sich in solchen Augenblicken, wie viele sogenannte Christen, gern entsann.
Des Briefträgers Urteil über den Leichtsinn Lucias erfuhr seine volle Bestätigung. Lucia hatte die Tür nicht abgesperrt, sondern sie nur einschnappen lassen. Robert drückte mit seinem Stock die Klinke nach unten, bis es plötzlich leise knackte und die Tür zögernd einen Spalt aufging.
Braves Mädchen, dachte Robert erleichtert, glitt von der Leiter, stellte sie ein zweites Mal an ihren Platz an der Treppenhauswand, huschte in die Wohnung, schloß die Tür, fand die auf dem Boden liegende Pappscheibe, holte sich einen Küchenstuhl herbei und befestigte die Scheibe wieder dort, wo sie gegen seinen Angriff nicht hatte standhalten können.
Dann trug er den Stuhl zurück in die Küche. Die Wände, die ihn dort umgaben, die Geräte, das Gewürzregal, der einsatzbereite Elektroherd, dies alles rief in ihm rasch das Gefühl wach, daß er Hunger hatte.
Ich werde mir ein paar weiche Eier machen, entschloß er sich.
Konnte er das?
Warum nicht? Ein paar weiche Eier machen war doch wahrlich kein Kunststück.
Außerdem wird's ja hier wohl auch ein Kochbuch geben, dachte Robert.
Aber wo?
Er begann herumzustöbern, drehte die ganze Küche um und fand nach einer Ewigkeit das, was er suchte, in der letzten Schublade, die er aufzog. Inzwischen war der Hunger natürlich noch größer geworden.
»Man koche«, hieß es im Kochbuch, »die Eier fünf Minuten, nehme sie aus dem siedenden Wasser und schrecke sie ab …«
Schrecke sie ab? Kann man Eier abschrecken?
Den Feind kann man davon abschrecken, anzugreifen. Aber Eier?
Robert Sorant betrachtete sich, was die Herstellung weicher Eier anbelangte, als gescheitert und entschied sich, einen Kartoffelsalat anzufertigen. Den einschlägigen Text dazu im Kochbuch verstand er. Er kochte Pellkartoffeln, schälte sie, schnitt sie in Scheiben, stellte sie in den Kühlschrank, nahm Essig, Öl, Pfeffer und Salz … na ja, tat eben alles, was im Text stand, und überlas doch eine Zeile. Als der Salat fertig war, schmeckte er dafür, daß es sich um ein Erstlingswerk handelte, gar nicht so schlecht. Nur irgend etwas fehlte ihm. Robert grübelte darüber nach, ging noch einmal alles durch und fand heraus, daß er es unterlassen hatte, in den Salat eine Zwiebel zu schneiden. Diese Anweisung des Rezepts war es, die er übersehen hatte. Und dennoch war er, wie gesagt, mit dem Ergebnis seiner Premiere, die er als Koch gegeben hatte, nicht unzufrieden.
Anschließend ließ er sich in einen Sessel fallen, wollte die Zeitung lesen und war, ehe er sich's versah, fest eingeschlafen.
So traf ihn Lucia an. Ein Platzregen hatte ihr Beine gemacht, so daß sie weit eher als geplant zu Hause eintraf. Roberts überraschende Anwesenheit entzückte sie. Da er aber gar so fest schlief, mit entspannten Zügen, ohne ihr Kommen bemerkt zu haben, wollte sie ihn nicht sogleich und jäh wecken, sondern dazu erst noch gewisse Vorbereitungen treffen. Auf Zehenspitzen schlich sie aus dem Zimmer und fand in der Küche einen Teller mit Überresten von Kartoffelsalat, ein aufgeschlagenes Kochbuch, daneben drei Eier im Rohzustand. Hinter dem Wort
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