Der Gentleman
das Probebühnenbild ein reiner Triumph.
Zuerst fotografierte sie es – natürlich in Farbe – und schickte Abzüge an alle Freundinnen und Freunde.
Dann schrieb sie ihrer Mutter einen begeisterten Bericht.
Im übrigen aber setzte sie sich jede freie Minute vor das Bild und dachte an Heinz Robs, denn der – bzw. Robert Sorant – war für vier Tage verreist und verhandelte in Bielefeld mit der Leitung eines Buchverlages. Er hatte diese Reise als äußerst dringend hingestellt, um in Bielefeld in aller Ruhe seine Lage überdenken und unbeeinflußt von Lucia einen festen Entschluß fassen zu können.
So saß er nun in den Zimmern der Lektoren herum, rauchte wie ein Schlot und suchte Papier- und Schriftproben aus, sah einige Fahnenabzüge seiner neuen Novelle durch und langweilte sich schrecklich.
Ihm fehlten Lucias blitzende Augen, ihm fehlte ihr Lachen, und er vermißte ihre pechschwarzen Locken.
Robert Sorant packte seinen Koffer und fuhr nach Altenbach zurück, ohne einen festen Entschluß gefaßt, ohne seelisch etwas geklärt zu haben. Robert Sorant wollte nur seine Lucia wiedersehen.
Als er in Altenbach im Hotel ›Zur Post‹ eintraf, erwarteten ihn drei Briefe. Bang drehte er sie herum und las die Absender:
Dr. Karl Weinhagen – der Teufel soll ihn holen!
Verlag Koppenhöfer – hm, das ging noch; Verlag für Kulturelles und Wissenschaftliches; war wohl geschäftlich.
Möpschen – das konnte sehr gefährlich sein.
Robert packte gewissermaßen den Stier bei den Hörnern; er begann mit Möpschens Brief, der sich als ganz merkwürdiges Schreiben entpuppte.
Möpschen teilte mit, daß sie seinen ersten – und bisher letzten – Brief empfangen habe, ging aber überhaupt nicht auf denselben ein. Sie kündigte auch kein Päckchen mit den erbetenen Rollenfilmen und der Badehose an. Zu Hause sei alles in Ordnung, ließ sie verlauten, allerdings habe ihr der Kammersänger Prokas einen schmutzigen Antrag gemacht, für den er eine Ohrfeige habe in Kauf nehmen müssen.
Das war eigentlich schon alles. Bißchen wenig. Kein Wort von einem anonymen Brief, der bei ihr eingetroffen sei. Kein mißtrauischer Ton. Hatte sie nun einen solchen Brief erhalten oder nicht? Wahrscheinlich nicht.
Robert atmete erleichtert auf. Freund Karl hatte sicher nur einen Schreckschuß abfeuern wollen. Dieses Schlitzohr!
Robert Sorant unterlag einem bösen Irrtum.
Über den Brief Weinhagens konnte sich Robert nur noch amüsieren. Die Zeilen begannen mit den Worten: ›Warum höre ich von Dir nichts mehr, Du Preisbulle?‹
Und er endete mit: ›Glaube ja nicht, daß wir Deinem obskuren Treiben tatenlos zusehen. Ehe Du Dich umguckst, wird etwas geschehen. Betrachte uns als Sachwalter Deiner Gerti!‹
Der dritte Brief war, wie von Robert schon vermutet, geschäftlicher Natur. Koppenhöfer, der bekannte Verlag für Kulturelles und Wissenschaftliches, teilte mit, daß man sich zur Herausgabe einer Monatsschrift mit dem Titel ›Kunstschau‹ entschlossen habe und ihm, Herrn Sorant, den Posten des Chefredakteurs offerieren wolle. Man bitte ihn um Gegenäußerung, ob er das Angebot anzunehmen gedächte. Beginn der Tätigkeit: 1. September. Wenn ja, bitte man ihn sogleich, auch schon für die Gestaltung des Zeitschriftenkopfes sorgen zu wollen, da man seine Verbindungen zur bildenden Kunst kenne.
Robert Sorant war erfreut, sogar sehr erfreut. Er rieb sich die Hände.
Das war es! Eine neue Chance, die das Zusammenwirken mit Lucia verlängerte, winkte.
Der Zeitschriftenkopf!
Lucia konnte den Zeitschriftenkopf entwerfen. Was heißt konnte? Mußte!
Mit dem Zeitschriftenkopf waren zwei weitere Wochen ›Frühling‹ gesichert.
Mit dem Zeitschriftenkopf konnte Robert noch einmal sich selbst gegenüber die Nähe Lucias begründen.
Robert Sorant hatte einen Anlaß, in Altenbach zu bleiben.
Er hatte ein Motiv, zu Lucia zu gehen.
Er brauchte sein Gewissen nicht zu belasten.
Geschäfte gingen vor – Möpschen konnte dagegen nichts sagen –, jetzt hatte er es schriftlich, vom Verlag für Kulturwissenschaft sogar.
Wie die Vögel auf einmal noch heller sangen.
Wie die Blüten dufteten, die Sonne lachte und der Wind säuselte.
Am fünften Tag ihrer Trennung stand Robert Sorant wieder vor Lucias Tür und begehrte mit stürmischem Klingeln Einlaß. Doch niemand öffnete ihm.
Lucia war ausgeflogen, war in den großen Wäldern untergetaucht, um stille Winkel dieser schönen Welt mit ihrem Fotoapparat einzufangen. Dies sagte ein Zettel
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