Der Gentleman
aus dem Weg. Drittens schien sie von der Ehe überhaupt keine anderen Vorstellungen als nur romantische zu haben. Und so weiter und so weiter … Robert Sorant war sich darüber im klaren, daß er Lucia niemals heiraten würde und auch – früher, als Junggeselle – nicht geheiratet hätte. Lucia war die personifizierte Lebenslust, Freude, der Spaß am Leben schlecht hin; sie wäre vielleicht auch eine Geliebte gewesen, die ihn voll ausgefüllt und ihm geholfen hätte, dem Dasein die köstlichsten Seiten abzugewinnen; eine Frau jedoch in beengten Verhältnissen, eine Mutter von mehreren Kindern, das war Lucia in Roberts ganzer Vorstellungswelt nicht, mit Sicherheit nicht. Und damit hatte sich für ihn vieles, was es im Zusammenhang mit Lucia zu überlegen gab, auch schon erledigt.
War Möpschen anders? Konnte Möpschen kämpfen? Für ihn, Robert Sorant, ihren Mann – kämpfen? Wollte sie das?
Sorant biß auf den Stil seiner Pfeife. Er konnte keine Antwort finden.
Robert Sorant kannte seine Frau nicht.
Aber – welcher Mann kennt seine Frau genau?
Robert stand auf und wanderte im Zimmer umher. Diese Ungewißheit quälte ihn plötzlich. Er liebte Möpschen, auch wenn er ab und zu einen Seitensprung – entweder ganz oder im Ansatz – machte. Das lag eben in seiner schnell begeisterten, überschäumenden Künstlernatur. Allzuviel war dem nicht beizumessen, in seinen Augen jedenfalls nicht. Doch nun witterte er ähnliches plötzlich auf Seiten seiner Frau, und das brachte ihn in Gefahr, seine Maßstäbe verändern zu müssen. Dem Gefühl begegnet zu sein, daß ihm die Frau, mit der er sein Leben teilte, reichlich unbekannt in ihrem Wesen war das verunsicherte ihn zutiefst.
Er ging wieder zum Fenster und blickte hinaus – nun aber wirklich. Altenbach! Ja, er saß in diesem schmucken Städtchen, konnte in den Wäldern umherstreifen, sich glücklich und frei fühlen. Und dennoch, irgend etwas stimmte plötzlich nicht mehr. Irgend etwas fehlte ihm trotz Altenbach, trotz Frühling, Schönheit der Natur, Ungebundenheit und Lucia. Was war es, das ihm abging? Seelische Ausgeglichenheit? Ein inneres Ruhegefühl? Zufriedenheit des Herzens? Wahrscheinlich alles zusammen.
Das Resultat war jedenfalls Zerrissenheit.
Woher das kam, wußte er selbst nicht zu sagen, denn wenn er sein Leben genau betrachtete, lag nichts näher, als von Sorglosigkeit und damit von Ruhe und Zufriedenheit zu sprechen. Was ihn dazu brachte, die nötige seelische Befriedigung durch das Leben zu vermissen, woher der Drang kam, diese Welt mit geradezu Nietze'scher Konsequenz zu verachten, konnte er sich mit dem Verstand nicht erklären.
Ach was! Robert Sorant wandte sich vom Fenster ab und zog sein Jackett an. Ist ja alles Quatsch! Man lebt, um zu leben!
Doch im Inneren sagte ihm eine Stimme: Nein, das stimmt nicht ganz. Auch du wirst das noch erfahren.
Unwillig über die plötzlichen Strapazen seiner Seele, denen sie sich hatte unterziehen müssen – weiß der Himmel, aus welchem Grund oder Anlaß –, verließ er das Zimmer, stieg die Treppe hinunter, folgte jenen Leuten, die zufällig zur Kölner Straße gingen, und läutete bei Lucia. Seiner Pfeife hatte er sich noch auf seinem Zimmer entledigt. Er mußte aber den Klingelknopf zweimal drücken, ehe ihm Lucia öffnete – ungekämmt, mit roten, verweinten Augen.
»Nanu?« Robert trat rasch über die Schwelle. »Was ist denn mit dir los, mein Schatz? Was hast du?«
Lucia schluchzte auf.
»Es ist aus mit uns, Heinz.«
»Was ist aus mit uns?«
»Wir müssen uns trennen.«
Sorant glaubte an einen Scherz, doch dem widersprachen Lucias Tränen, die absolut echt waren.
»Trennen? Warum? Ich sehe keinen Grund dazu.«
»Deine Frau …« Neuerliches Schluchzen hinderte sie daran, den Satz zu vollenden.
»Meine Frau? Was ist mit der? Wieso kommst du auf die?«
»Sie hat mir geschrieben.«
Der Schreck fuhr ihm durch die Glieder. Dann wurde er plötzlich rot.
»Dir … geschrieben … meine Frau?«
»Ja, eine Karte.«
Robert mußte sich zunächst setzen. Im Vorzimmer stand ein Hocker, das kam seinem Bedürfnis entgegen.
Möpschen attackierte also Lucia; Möpschen eröffnete die Schlacht.
Sie liebt mich, dachte Sorant. Fast hätte er dabei gelächelt.
Der Ansatz dazu erstarb jedoch, als Lucia die Karte präsentierte, aus deren Datum hervorging, daß sie aus irgendwelchen Gründen auf der Post liegengeblieben war. Lucia hielt Robert den Text unter die Nase.
›Sie Schlange! Aber ich werde
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