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Der Gentleman

Der Gentleman

Titel: Der Gentleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht der Praxis zuwenden. Bakteriologie hätte mich interessiert. Oder eine Tätigkeit am Tropeninstitut in Hamburg. Serumforschung. Lach mich nicht aus, aber ich wäre eben gern in Neuland der Wissenschaft vorgestoßen.«
    »Wer würde das nicht gern tun?«
    »Aber dann merkte ich halt doch noch rechtzeitig, daß mein Hang zur Kunst stärker war als der zur Medizin.«
    Robert konnte es nicht lassen, sie zu necken.
    »Das war Gottes Fügung«, sagte er.
    »Heinrich, gleich stoße ich dich wirklich ins Wasser.«
    »Bitte nicht, ich möchte dir nämlich noch rasch ein Märchen erzählen, das mir soeben einfällt. Ich begegnete vor kurzem …«
    »Stopp! Wohl eine Neuauflage vom Blattläuslein?«
    »Mitnichten! Viel dramatischer!«
    Er holte tief Atem, zapfte wieder einmal den inneren Born seiner unerschöpflichen Fantasie an und ließ diesen sprudeln. Lucia bekam ein Märchen zu hören, das typisch für diesen Mann war: das Ausgefallenste vom Ausgefallenen.
    Er begann:
    »Die Geschichte von dem Mädchen, das auszog, Mücken zu impfen …«
    »Mücken!« rief Lucia.
    »Mücken«, nickte er und fuhr unbeirrbar fort, nach Märchenart zu erzählen: »Es war einmal ein Mädchen, ein Mädchen, jung und zart, aber mit einer gehörigen Portion Unternehmungsgeist ausgestattet – und auch mit dem Drang, in Neuland vorzustoßen. Es beseelte sie der Wunsch, an den Mücken, diesen lästigen Geschöpfen unter dem Himmel, eine neue Impfung zu erproben Verwendung der Mücken als Meerschweinchen sozusagen. Schon als Kind hatte das Mädchen eine besondere Beziehung zu Mücken. Sie wurde nicht müde, jeden Sonnenstrahl zu nützen und die in ihm tanzenden Mücken und Schnaken – wohl auch Schmetterlinge – zu fangen, ihnen Flügel und Beinchen auszurupfen und zu jauchzen, wenn sie diese kleinen Geschöpfe der Natur in ihre Bestandteile zerlegt hatte.
    War dieses Spiel noch von der bekannten kindlichen Grausamkeit, so wuchs es sich mit den Jahren zu einer wissenschaftlichen Methode aus. Statt seichten Vergnügungen nachzujagen, wie ihre Altersgenossinnen, statt den ersten Versuchungen des Fleisches zu erliegen, wie es besonders heranwachsenden Malerinnen und Bildhauerinnen zuzustoßen pflegt –«
    »Heinrich!«
    »Statt dessen saß jenes Mädchen unentwegt in ihrem Stübchen, sann und grübelte, notierte, strich durch und notierte wieder und hatte den Ehrgeiz, eine Doktorarbeit zu schreiben, die alle Wissenschaftler der Welt in Erstaunen versetzen sollte. Der Titel dieser Arbeit mochte lauten: ›Beweis einer Hormonstärkung durch Impfen mit dem Serum …‹«
    Robert verstummte, legte die Hand an die Stirn, zermarterte ein Weilchen sein Gehirn – vergeblich.
    »Der Name ist mir entfallen, entschuldige, Lucia«, sagte er. »Aber das tut ja nichts zur Sache, es schädigt die Geschichte nicht, die ich dir erzähle. Unsere Heldin erlag also am laufenden Band ihrem Ehrgeiz. Sie suchte alle Tiere auf. Sie impfte den Elefanten mit Zyankali, um sich ein verläßliches Bild von seiner Widerstandskraft zu machen. Der Elefant legte sich auf die Seite und ging in seinen Elefantenhimmel ein. Sie nahm sich das Rhinozeros vor und verpaßte ihm eine Injektion mit Rizinus, worauf der arme Dickhäuter aus seiner Herde ausgestoßen wurde. Ja, sie fing sogar mit eigener Hand ein Zebra ein, nachdem sie sich von einem Eingeborenen lange genug das Lassoschwingen hatte beibringen lassen, und erzielte das Ergebnis, daß das Tier nach mehreren Impfungen mit Kohlehydraten ein Rappe wurde, den freilich trotzdem bald darauf ein Löwe zum Frühstück nicht verschmähte.
    Wo blieb also das ganz bestimmte Serum, welches von dem Mädchen gesucht wurde? Ja, wo blieb es?
    Verzweifelt, mit sorgenschwerer Stirn, suchte die junge Wissenschaftlerin, als die sie sich natürlich schon längst ohne Wenn und Aber empfand, nach ihrem Hormonserum. ›Ich will es finden!‹ verkündete sie sich vor dem Spiegel selbst immer wieder. ›Ich werde die Welt in Aufregung versetzen mit meiner Entdeckung!‹ Und in den Nächten, die sie durcharbeitend zubrachte, trat sie oft vor die Bilder ihrer großen Kollegen Semmelweiß und Ehrlich, faltete die Hände und schickte die inbrünstige Bitte hinauf in den Himmel zu den Großen, ihr ihren Beistand nicht zu versagen und ihr Kraft und Mut und Ausdauer zu spenden.
    Und als sie wieder einmal so flehte und sich an den großen Semmelweiß direkt wandte, indem sie sagte: ›Hochverehrter Ignatius, wie finde ich mein Hormonserum?‹ – da kam

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