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Der Gentleman

Der Gentleman

Titel: Der Gentleman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mit gesenktem Kopf umher. Heimweh, ganz, ganz tiefes Heimweh hatte sie erfaßt – so tief, daß sie weinte, keine Lust zur Arbeit mehr hatte und überhaupt das ganze Leben als schal und leer empfand. Sie dachte zurück an Europa, an die Bundesrepublik Deutschland, an die ertragsschweren Felder dort, die saftigen Wiesen, den herrlichen Dauerregen. Sie dachte an das kleine elterliche Haus, an all die kindlichen Erlebnisse im Kreis der Familie. Das Ende vom Lied war, daß ihre schlanke Gestalt von einem schweren Weinkrampf geschüttelt wurde.
    Doch siehe da … in der Heimat lebte ein fescher Bursch, gebürtig in Österreich, ausgewandert ins Rheinland, der das Mädchen auch in der Ferne nur vorübergehend hatte vergessen können. So nahm er denn wieder Verbindung mit ihr auf und schrieb ihr einen gekonnten Brief. Und schau an – weil es der Brief sozusagen in sich hatte, lächelte das Mädchen, lächelte unter Tränen und preßte den Brief ganz fest an ihr Herz. So fand sie nach längerer Zeit wieder einen tiefen, erquickenden Schlaf.
    Sie träumte, durch wogende Felder der Heimat zu gehen, umschwärmt von Millionen Mücken, die ihren afrikanischen Schwestern in nichts nachstanden.
    Und das Mädchen lächelte im Traum, streichelte die Bettdecke und fühlte sich geborgen in dem Gedanken an die Heimat. Und schon am nächsten Morgen startete sie mit frischen Kräften eine neue Großaktion im Impfen. Kamerun konnte aufatmen. Es schaffte das Mädchen dort wieder unermüdlich, unterstützt vom Häuptling ›Starkes Nashorn‹. Sie setzte sich in der Wissenschaft ein Denkmal nach dem anderen. Und wenn sie nicht gestorben ist, lebt sie heute noch.«
    Robert verstummte, er war am Ende angelangt. Endlich! Lange genug hatte es gedauert. Innerlich erschöpft, sozusagen ausgelaugt, schwieg Robert. Daß noch Leben in ihm war, verrieten die Bewegungen, die nötig waren, um sich eine neue Zigarette anzuzünden.
    Auch Lucia blieb still. Merkwürdige Gedanken gingen ihr durch den Kopf.
    Wer war dieser Mann, der sich als Buchhändler vorgestellt, sich zu einem Komponisten gewandelt hatte und endlose Märchen voller Nonsens aus dem Ärmel schüttelte? Wann werde ich ihn endlich ganz durchschauen? fragte sie sich.
    »Heinz …«
    »Ja?«
    »Hast du dieses Märchen selbst gedichtet?«
    »Nee, nur nacherzählt.«
    »Und von wem ist es?«
    Er zuckte die Achseln.
    »Keine Ahnung. Ich las es in einem Sammelbändchen«, log er.
    Lucia richtete sich auf und blickte ihn von der Seite an.
    »Weißt du, von wem es sein könnte?«
    »Von wem?«
    »Von Sorant.«
    Kein Zucken verriet in Roberts Gesicht, daß er betroffen war. Lucia blickte mit verschlungenen Händen wieder geradeaus ins Wasser.
    »Von dem?« antwortete Robert, der sich fantastisch in der Gewalt hatte. »Das glaube ich nicht. Der schreibt doch dazu viel zu nüchtern.«
    »Und dennoch fühle ich mich an ihn erinnert, Heinz. Das ging mir schon einmal so, ich glaube, ich habe es dir gesagt. Diese grandiose Fantasie, weißt du, die ist's, die mich …«
    Eine große Forelle schnitt ihr das Wort ab. Sie sprang aus dem Wasser, auf der Jagd nach einer unvorsichtigen Fliege, und klatschte in ihr Element zurück.
    »Die wog gut ihre eineinhalb Pfund«, schätzte Robert.
    »Ich würde es ihr gern nachmachen«, sagte Lucia.
    »Und nach Fliegen schnappen?« fragte Robert sie.
    »Nein, mich ins Wasser werfen.«
    »Und warum tust du's nicht?«
    »Aus dem gleichen Grund wie du.«
    »Und der wäre?«
    »Du hast keine Badehose dabei, ich keinen Badeanzug.«
    Robert grinste. Mit dieser Aussage hatte er gerechnet und sie innerlich schon zurückgewiesen.
    »Wir sitzen jetzt bereits eine Ewigkeit hier«, erklärte er, »und niemand ist vorbeigekommen, keine Menschenseele. Einen einsameren Platz gibt's gar nicht mehr. Ich fordere dich deshalb auf, deinen Wunsch keine Sekunde länger mehr zu unterdrücken.«
    Wie damals am Sonnenfleck blickte sie ängstlich umher.
    »Meinst du?« antwortete sie unentschlossen.
    Robert redete nicht mehr lange, sondern handelte. Er zog sich rasch splitternackt aus. Sein Beispiel riß Lucia mit, und wenige Augenblicke später glitten sie nebeneinander ins Wasser, entfernten sich von ihrem Inselchen, strebten mit seitwärts ausgestreckten Armen auf die tiefere Mitte des Flusses zu, bis ihnen das nasse Element bis zu den Bäuchen reichte. Sie gingen vorsichtig, Schritt für Schritt, da die Steine, auf die sie ihre Sohlen setzten, sehr glitschig waren. Sie hielten an.
    Die

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