Der Gentleman
es wie eine göttliche Erleuchtung über sie, und mit dem alten Ruf ›heureka!‹ …«
»Du verstehst das, Lucia?« unterbrach er sich.
»Was?«
»Den Ausdruck ›heureka‹?«
»Doch: ›Ich hab's gefunden.‹«
»Sehr richtig. Wir verdanken ihn den alten Griechen. Du bist ein kluges Kind.«
»Vergiß dein Märchen nicht.« Lucia war nun selbst schon ganz gespannt, was da noch alles kommen würde. Das war ja das Eigenartige an diesem Mann, daß es ihm gelang, sie mit dem größten Unsinn in seinen Bann zu schlagen – und nicht nur sie!
»Jenen hellenischen Ausruf auf den Lippen«, fuhr er fort, »stürzte sie also hinaus aus ihrem Stübchen und besorgte sich eine Schiffskarte nach Kamerun in Afrika. Als der Dampfer ›Braunschweig‹ in die Kamerunbucht einlief, stand der durch das Konsulat verständigte Eingeborenenhäuptling Saramapopipopu – auf deutsch: starkes Nashorn – am Kai und empfing das Mädchen mit gemessenen Verbeugungen und einem Kriegstanz seiner männlichen Gefolgschaft. Die weibliche Gefolgschaft sang Lale Andersens unsterbliche Weise ›Vor der Kaserne, vor dem großen Tor …‹ Einen schöneren Beweis dafür, daß der Zweite Weltkrieg von deutscher Seite nicht völlig umsonst geführt worden war, gab es nicht. Vermochten die Alliierten auch unserer Waffen Herr zu werden, unserem Liedgut konnten sie nicht Einhalt gebieten. Der Eindruck auf die junge Wissenschaftlerin war tief. Unter dem Schutz des Häuptlings durchquerte sie nun die Wildnis, bis sie an den Tschad-See ganz im Norden kam. Dort wimmelte es von Mücken, Milliarden schwirrten umher. Die Forscherin war happy. Hier konnte sie wahrlich aus dem vollen schöpfen. Fieberhaft begann sie tätig zu werden. Aus der Milch der Kokosnuß, vermischt mit Ameisensäure, Kölnisch Wasser und Karlsbader Salz, stellte sie ein Serum her, das sie den Mücken in den Darm injizierte. Das war Filigranarbeit, wie sich jeder vorstellen kann. Zweitausend Mücken impfte sie so; eintausend starben daran; bei fünfhundert brach eine neue Art von Mückenwahnsinn aus, der sich darin äußerte, daß die Befallenen sich gegenseitig stachen und aussaugten, wodurch eine interessante neue Form des Blutaustausches von Mücken entstanden war; zweihundert bekamen Magenkrebs; hundert wurden von der Basedowschen Krankheit befallen; hundert erlitten Wasser- und noch einmal hundert die Gelbsucht. – Fünfzig aber blieben am Leben, mit verstärkter Gesundheit sogar.
Diese fünfzig wurden der Grundstock, auf dem die junge Wissenschaftlerin, die inzwischen, da die Jahre bei ihr nicht stehengeblieben, nicht mehr ganz so jung war, aufbaute. Nach wenigen Tagen legten die Tierchen Eier in Form winziger Kokosnüsse, die nach Kölnisch Wasser rochen, von Ameisen teils absolut gemieden, teils absolut begehrt wurden – ein neues Rätsel der Natur –, und die die Wirkung des Karlsbader Salzes besaßen. Der Bann war gebrochen. Das neue Serum regte zweifelsohne die Hormonbildung nach mehreren Seiten hin an. Das Mädchen jubelte, tanzte mit dem Häuptling einen ihr fremden Eingeborenentanz, den sie intuitiv anging, und gab sich zum erstenmal seit langer Zeit wieder einem Manne hin. Nicht der Häuptling war aber der Nutznießer, sondern sein Sohn, woraus sich eine Tragödie antiken Ausmaßes entwickelte. Der zürnende Vater ließ nämlich sein eigen Fleisch und Blut an den Schwanz einer zu diesem Zweck eigens gezüchteten Kuhantilope binden und zu Tode schleifen. Diese absolutistische Maßnahme ließ es der Forscherin ratsam erscheinen, ihrer Hingabe an den Jungen eine an den Alten folgen zu lassen. Anschließend schrieb sie die Nächte hindurch ihre Doktorarbeit. Tagsüber schlief sie. Nachts arbeitete sie wie im Fieber, aß und trank nicht mehr, sah keinen Mond, keinen Stern, keinen Häuptling mehr an, sondern schrieb, schrieb, schrieb. Als sie das Ziel erreicht hatte und die fertige Dissertationsarbeit vor ihr lag, wog sie nur noch 82 Pfund und mußte sich an den Bäumen festhalten, um nicht fortzufliegen, wenn ein stärkerer Windstoß aufkam.
Die wissenschaftliche Welt aber schaute mit Bewunderung auf diese hübschen 82 Pfund, kargte nicht mit Beifall und dankte Gott für die Geburt dieses Genies.
Das Mädchen selbst rastete nicht lange. Nachdem sie sich wieder ihr normales Gewicht angegessen hatte, begann sie unverzüglich, das Seelen- und Liebesleben der Tje-Tje-Mücke zu erforschen. Daneben war sie natürlich ununterbrochen am Impfen. Dadurch wuchsen und wuchsen in
Weitere Kostenlose Bücher