Der Geruch von Blut Thriller
habe?«
»Nein.«
»Alle anderen schon. Und niemand, nicht ein einziger von ihnen kann behaupten, ich hätte zugelassen, dass sie sich ihren nichtsnutzigen Kopf abfrieren …«
»Moment mal …«
»… oder ihn in die Toilette stecken, mit dem Schlüpfer in den Kniekehlen. Niemand kann das behaupten.«
»Das will auch niemand.«
»Natürlich nicht! Das ist ja genau das, was ich meine!«
Ein klagender Unterton hat sich in ihre Stimme geschlichen, etwas, das er noch nie bei ihr gehört hat. Sie steht direkt vor ihm, massiv und regungslos, aber er sieht sie immer noch mit der Suppenkelle von einem Topf zum anderen rennen.
Der Gedanke, Duchess, die ein Eckpfeiler der Schule ist, könne sich hier nicht mehr wohlfühlen, beunruhigt ihn, wie er es seit Jahren nicht erlebt hat. Er stellt sich vor, wie sie ihnen zum Abschied die Hand gibt, und alles um sie herum ins Wanken gerät.
»Ich habe gehört, dass deine Enkelin abgelehnt wurde«, sagt er. »Das tut mir leid.«
»Sie haben ihr erzählt, es läge an ihren Noten.«
»Und du glaubst nicht, dass das der Grund ist.«
»Ich denke, es ist einfacher, einem schwarzen Mädchen mit einem Baby die Zulassung zu verweigern, obwohl sie sie verdient hätte, als sich dem Gejammer der weißen Snobs zu stellen, die Angst haben, der Gestank der Straße könne auf sie abfärben. Sie ist eine erstklassige Schülerin. Wie kann es an den Noten liegen?«
Es gibt bereits acht schwarze Schülerinnen am St. Val’s, außerdem acht asiatische und zwei Schwestern aus Mexiko City, mit einem ausgeprägten Akzent, der ihn an East Harlem erinnert. Finn hat also nicht den Eindruck, dass Rassismus eine so große Rolle spielt, wie Duchess behauptet. Die Country-Club-Society mag die Nasen rümpfen und schnöselige Kommentare abgeben, aber das tun sie immer und überall. Und die Arbeitereltern zicken vielleicht herum, wenn sie ihre Vermögenswerte bedroht sehen, aber er glaubt nicht, dass es
sie interessiert, ob ihre Töchter neben einer Schwarzen sitzen.
Er kennt das Spiel, er erlebt es dauernd bei der Arbeit, es ist immer da, aber in St. Val’s nicht mehr als anderswo.
»Wie ist es bei der Aufnahmeprüfung gelaufen?«
Duchess stößt die Luft aus, die sich seit Tagen in ihr angesammelt hat. Sie wärmt sein Gesicht. »Nicht allzu gut, muss ich zugeben. Aber sie hat aus ihren Fehlern gelernt, hat extra hart gebüffelt und gehofft, sie wiederholen zu dürfen. Aber sie muss bis nächstes Jahr warten. Nicht nächstes Semester, nächstes Jahr.«
»Das ist normal, Duchess.«
»Vielleicht, vielleicht aber auch nicht …«
»Doch, glaub mir.«
»… und sie wäre eine Bereicherung für die Schule. Sie hat so viel zu bieten.«
»Das glaube ich dir.«
»Die Liste mit ihren außerschulischen Aktivitäten ist dreimal so lang wie dein Schwanz.«
»Also bitte!«
»Und mit diesem ganzen French Club- und Cheerleader-Quatsch hat sie auch nichts am Hut. Die Kleine hat Menschen geholfen. Sie hat in Obdachlosenheimen gearbeitet, in Reha-Kliniken, mit misshandelten Frauen und geistig Behinderten. Crackbabys. Sie hat etwas bewegt. Das Mädchen hat ein Herz, sie kümmert sich um Menschen, die weniger Glück im Leben hatten. Und nebenbei auch noch um ihr eigenes Kind.«
»Wie heißt sie?«, fragt er, während Duchess vor seinem inneren Auge mit den großen Holzlöffeln herumfuchtelt, riesige Pfannen und Töpfe wie Trommeln schlägt,
der Dampf aufsteigt und ihr Haar sich noch mehr kringelt. Ihr Gesicht tropft vor Schweiß. Ihr Mund ist verzogen. Sie sieht hoch und merkt, wie Finn sie anstarrt. Sie wirft ihm einen finsteren, unerbittlichen Blick zu.
»Mein Enkelin heißt Ruby. Sie ist sechzehn. Ihr Baby heißt Gem und wird Ende Januar eins.«
Finn muss lächeln, aber das hebt Duchess’ Laune nicht. Er hat das Gefühl, dass sie nicht nur wütend ist, weil Ruby nicht angenommen wurde, sondern auch, weil sie ihre Familie bei sich haben will. Es wird allmählich einsam hier. Duchess hat, genau wie Judith und vielleicht sie alle, einen Wendepunkt erreicht.
»Wohnen sie in der Bronx?«, fragt er.
»Mit meiner Tochter, Lady. Hab ich dir je erzählt, wie ich hier gelandet bin?«
Sie hat ihm im Laufe der Zeit zwei verschiedene Versionen erzählt, die wenig miteinander zu tun hatten. Wahrscheinlich waren sie beide gelogen. Jeder Mensch hat Geheimnisse.
»Nein«, sagt er.
»Doch, das habe ich. Zwei- oder dreimal sogar. Hab ich Recht?«
»Mein Gedächtnis ist nicht mehr das beste.«
»Erzähl mir nichts.
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