Der Geruch von Blut Thriller
könnten. Er empfindet sie als Reizüberflutung und als penetrant. Er hört lieber
auf seine Umgebung, die Schönheiten der Geräuschkulisse.
»Na, mal wieder Ärger eingehandelt?«, fragt Murphy.
Er sagt das mit einem leichten Augenzwinkern in der Stimme, als wisse er von Harley Moon. Finn reißt den Kopf hoch. Er fragt sich, ob Murphy ihn gesehen hat, wie er durch den Schnee gestolpert ist, mit einem bewusstlosen Mädchen in den Armen, und ihn einfach hat weitertaumeln lassen.
Finn nimmt die Sonnenbrille ab und mustert Murphy, ein alter Blindentrick.
»Was soll der Blick?«, fragt Murphy leicht irritiert. Finn freut sich, wieder Herr im Haus zu sein, wenn auch nur für einen Moment.
»Welcher Blick?«
»Bist du sauer, dass ich mir einen klitzekleinen Whiskey genehmigt habe?«
»Überhaupt nicht.«
»Das klang jetzt aber ein bisschen streng.«
»Du sollst nur den jungen Dingern nichts davon geben.«
»Das würde ich nie tun.«
»Nein?«
»Teufel, die sollen sich ihr Zeug selbst kaufen.«
Die Mädchen haben sich schon ihre Gedanken über Murphy gemacht und ihn als süß, scharf oder sexy bezeichnet, als Knackarsch oder Mistkerl. Sie mögen seinen irischen Akzent. Jeder mag seinen irischen Akzent. Der Akzent ist wahrscheinlich schuld daran, dass Judith halb verrückt vor Verlangen nach ihm ist.
Wenn Finn Murphy trifft, sieht er Ray. Das macht ihm ein wenig Sorgen, und manchmal verwirrt es ihn, aber es lässt sich nicht ändern. Schmale Hüften, aber kräftig,
die Lippen immer zu einem Grinsen verzogen, schwarzes Haar, das sich über den glühenden Augen lockt. Die Huren von der Upper East Side nannten Ray auch gern Knackarsch. Und Murphy verfügt über dasselbe unwiderstehliche Selbstvertrauen wie Ray.
Murphys Nacken knackt. Er sieht aus dem Fenster. »In Galway ist es der Regen, der nie aufhört. Er dringt überall ein. In die Erde, in den Stein, sogar in die Menschen. Nur die Toten mögen ihn. Die Toten und meine Mutter, aber die hasste sowieso alles Lebendige.«
Finn hatte Murphy während ihrer nächtlichen Besäufnisse über seine Mutter fluchen hören. Mit ihrem unerbittlichen, kleinlichen Drang, alles Wissen und jeden Humor im Namen des Pragmatismus niederzutrampeln, hatte die strenge Frau seinen Vater in den Selbstmord getrieben, behauptete er. Sie fand, Musik, Literatur, Sport, gutes Essen und gute Kleidung seien rausgeschmissenes Geld, vergeudete Zeit und ständen im unmittelbaren Gegensatz zum Willen Gottes.
Hinterhältig wie eine von Messdienern umgebene lesbische Nonne, hat Murphy sie genannt, und dass sie mit dem Hurling-Schläger hinter ihm her gewesen sei, wenn er am Sonntag nicht in der Kirche war. Die Priester sahen zu, wie er mit seltsamem Gang durch die Straßen lief, und wussten, dass er Beulen und Striemen am ganzen Körper hatte. Sie schlugen ihm mit der Hand auf den Rücken und sagten: Deine Mutter ist eine gute, liebevolle, aufopfernde, edel gesinnte Frau.
Zuerst nickte Murphy nur. Als er älter wurde und sich in den Kopf setzte, so bald wie möglich aus Irland abzuhauen, antwortete er: Mit Hilfe von Ihnen und Ihresgleichen hat sie meinen Daddy umgebracht.
»Was meinst du damit, die Toten mögen ihn?«, fragt Finn.
»In Galway begleiten wir unsere Toten, und unsere Toten begleiten uns. Bei einem Trauerzug laufen alle durch die Altstadt hinter ihnen her. Aber den Toten ist warm in ihren Särgen, sie können das Wetter endlich genießen. Ich dagegen bin immer noch nicht ausgewrungen. In Galway ist es der Regen, und hier ist es der Schnee. Man spürt ihn die ganze Zeit, sogar mitten im Sommer. Er versteckt sich, aber er ist immer da.« Er lacht verhalten und sagt dann: »Scheiße. Und der Wind in Galway. Er hängt in den alten Steinen, und wenn man in eine kleine Gasse kommt, durchfährt er einen wie eine alte Schreckschraube. Das hat schon so manchen Kesselflicker in den Fluss gepustet. Wenn er mal nicht weht, dann sitzt er irgendwo und wartet. Immer, wenn ich aus der Wohnung kam, wusste ich, dass er da war und meinen Namen rief.«
»Himmel nochmal«, sagt Finn, »seid ihr irischen Katholiken immer so, oder nur, wenn das Jesuskind Geburtstag hat?«
»Immer. Das haben wir im Blut, wir können nicht davor davonlaufen, auch wenn wir es noch so sehr versuchen. Es ist unser Los, dieser Wind, der Regen und der Stein. Es wird mich immer begleiten, egal, wo ich bin.«
»Du bist eine verdammte Lachnummer, Murphy.«
»Damit kann ich leben.«
Finn weiß ein bisschen, was es
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