Der Geruch von Blut Thriller
Ich würde sogar sagen, es wird immer besser. Egal, willst du die Wahrheit hören? Die volle Wahrheit?«
»Nein«, sagt Finn, und das ist die Wahrheit.
Das hält sie nicht davon ab, ihr Herz auszuschütten. Er hat selbst Schuld. Er saugt das Gift aus ihr heraus wie aus einem Schlangenbiss.
Wo zum Teufel sind die anderen alle? Was hat Roz so Wichtiges im Laden vergessen? Er streckt die Hand aus,
um Duchess auf die Schulter zu klopfen, eine Verbindung herzustellen, sie etwas zu beruhigen, falls möglich. Ihr zu zeigen, dass er da ist. Aber sie weicht aus und hält ihm die großen Löffel wie Messer entgegen, bereit, sie ihm in die Brust zu stoßen.
»Es ist eigentlich keine große Geschichte. Judiths Sohn war vor ein paar Jahren auf Entzug im Bronx Psychiatric Center, und ich habe dort gekocht. Sie mochte das Essen und fand, ich würde gut an die Schule passen. Das ist alles. Klingt so … so zufällig , dass es schon fast komisch ist, wenn man mal die ganzen Drogenabhängigen vergisst und dass ich zu den meisten Mahlzeiten als Beilage Methadon verteilt habe.«
»Was zum Teufel hatte ihr Sohn in einer psychiatrischen Klinik in der Bronx zu suchen?«
»Woher soll ich das wissen? Ich weiß es nicht. Wenn du es wissen willst, frag sie. Kann ich jetzt weiterreden?«
»Klar.«
»Danke. Jetzt sitze ich hier, eine Urgroßmutter, die nicht bei ihrer Familie ist. Das tut weh, und ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr, verstehst du?«
»Ja, ich …«
»Unterbrich mich nicht. Du hast keine Kinder, also kannst du wohl kaum mitreden. Was ich sagen will, ich habe in meinem Leben hart gearbeitet, härter als die meisten. Mich um meine Eltern gekümmert, meinen Mann, mein Kind, jeder von ihnen hat sich auf seine Weise vom Leben abgewendet. Alle wollten sie ihr Leben wegwerfen. Aber ich habe nicht aufgegeben.«
Sie hat Recht. Es ist keine große Geschichte. Ein gewöhnliches Drama, eine durchschnittliche Tragödie wie
bei jedem. Wenn man es aufs Wesentliche reduziert, wird einem bewusst, dass man da ist, wo man ist, weil man irgendwo links abgebogen ist statt rechts. Weil man ein Stoppschild übersehen hat. Weil man nochmal zurückgelaufen ist und seine Brieftasche geholt hat. Der Vater nicht nach Hause gekommen ist. Die Mutter die Milch verbrannt hat. Man über Nacht weggeblieben ist. Eine Notlüge gebraucht hat. Berichte gefälscht. Den Rahm abgeschöpft. Zwischen den Zeilen gelesen. Das Ticket nicht bezahlt. Sich nicht getraut hat.
»Du kannst stolz auf dich sein«, sagt er. Das ist totaler Blödsinn, und er weiß, wie banal es klingt, noch bevor er es ausgesprochen hat.
»Ich bin stolz, aber ich bin auch wütend, weil meine kleine Ruby ihr ganzes Leben hart gearbeitet hat und ich nicht will, dass sie denselben Weg gehen muss wie ich. Ich will nicht, dass sie darauf warten muss, in der Essensschlange einer Nervenklinik jemandem zu begegnen, der ihr eine Chance gibt. Sie verdient es, ihren Weg allein zu machen.«
»Aber trotzdem, eigentlich ärgerst du dich darüber, dass du ihr nicht helfen konntest.«
»Verdammt, ja«, gibt Duchess zu. Sie wedelt mit den Armen, und der süße Duft wird von starkem Schweißgeruch verdrängt. »Zu irgendwas muss es doch gut sein, dass ich meine Zeit dafür opfere. Ich habe Judith gefragt, ob sie nicht eine Ausnahme machen könne, und sie hat das Gesicht verzogen, als hätte ich in der Kirche gefurzt.«
»Das würde sie wahrscheinlich weniger stören. St. Val’s bedeutet ihr alles. Sie besteht darauf, dass wir uns alle an die Spielregeln halten.«
»Außer sie selbst. Ich frage mich, wo in der Schulordnung steht, dass sie bei der Arbeit trinken und mit dem Kopf im Scheißhaus stecken bleiben soll, mit ihrem labbrigen Oma-Schlüpfer in den Kniekehlen.«
»Wir sind immer die Ausnahme unserer eigenen Regeln.«
Das muss er ihr nicht sagen. Sie weiß es, vielleicht besser als er, und es hätte ihn nicht gewundert, wenn sie ihn darauf hingewiesen hätte. Sie holt tief Luft, lässt sie im ganzen Körper zirkulieren und stößt sie dann mit einer Inbrunst aus, dass es ihm die Locken hochpustet.
Die Tür geht auf, und mehrere plappernde Mädchen kommen herein. Duchess steht auf, schiebt ihren Stuhl unter den Tisch und marschiert in Richtung Küche, um das Essen zu servieren.
»Warum bist du nicht zu Hause bei deinen Mädchen, Duchess?«, fragt er.
»Die Kinder können auf sich selbst aufpassen. Diese Intelligenzbestien hier, die ihre Aufnahmeprüfung so toll bestanden haben, die
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