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Der Geruch von Blut Thriller

Titel: Der Geruch von Blut Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Piccirilli
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schluchzt gleichzeitig, weil seine Frau zehn Minuten nach der Entbindung einen Herzinfarkt hatte. Du versuchst, mit ihm mitzufühlen. Du versuchst dir vorzustellen, wie es wäre, wenn stattdessen Dani auf dem Tisch läge.
    Deine Halsschlagader schwillt an. Das Kind wimmert, halb im Schlaf. Du bist hochgeschickt worden, um die Treppe zu bewachen, sollst den Vater aber nicht in ein Gespräch verwickeln. Kein schlechtes Wort in diesem
Zusammenhang, »verwickeln«. Eure Leben werden von nun an ineinander verwickelt sein, als hättet ihr geheiratet.
    Dir fehlt Rays Klarheit. Er sieht alles schwarz-weiß, trifft seine Entscheidungen sofort und bleibt dabei. Er will den Vater überrumpeln und ihm eine Kugel in den Kopf jagen.
    Du bist derjenige, der etwas sagen muss wie: Aber was ist mit dem Baby?
    Du klingst total weinerlich, und so sieht Ray dich auch an.
    Er nähert sich von hinten dem Vater, der inzwischen auf der Kante herumtanzt und dabei jault wie ein Hund. Ray zielt, er weiß ganz genau, dass ihm das niemand anlasten wird. Eine Medaille werden sie ihm verleihen. Er wird wochenlang in der Zeitung zu sehen sein und zum Helden gekrönt werden. Das ist der Weg zur goldenen Dienstmarke, bevor man dreißig ist. Solange das Baby nicht mit runterfliegt.
    In deinem Kopf tobt ein Blitzkrieg. Du siehst dich vorpreschen und das Kind packen. Du hörst die Jubelrufe, stellst dir vor, wie das Kind fünfundzwanzig Jahre später zu dir kommt, um sich zu bedanken, mit seiner Frau und zwei Kindern im Schlepptau.
    Ray versucht, lautlos wie ein Reptil vorwärtszukriechen. Er könnte genauso gut auf eine Kesselpauke trommeln. Der Vater brüllt so laut, dass er nichts um sich herum wahrnimmt.
    Du denkst an eine tote Frau in der Leichenhalle des Krankenhauses, zwei Stockwerke unter der Erde, die Brüste voll geronnener Milch. Du denkst, wie sinnlos das alles ist.

    Ray versucht gar nicht erst, näher an ihn ranzukommen. Er ist vielleicht fünfzehn Meter von ihm entfernt und bringt sich in Schussposition. Er will auf jeden Fall verhindern, dass irgendein Scharfschütze die Lorbeeren erntet. Die Stimme des Verhandlungsführers klingt hier oben einfach nur wehleidig. Das sollten sie vielleicht wissen.
    Du greifst versuchsweise nach Rays Schulter, aber er schüttelt dich ab und schenkt dir wieder diesen Blick. Diesmal voller Hass. Du sagst: Halt, warte. Und er: Nein. Du siehst mit an, wie die Ereignisse in vorgeschriebener Reihenfolge ablaufen, und weißt genau, was als Nächstes passiert. Du denkst: Ray kann unmöglich schießen. Wenn er abdrückt, ist das Kind tot. Ray ist einer der schlechtesten Schützen in der Einheit, immer im unteren Segment.
    Entweder er schießt daneben, und der Vater fällt vor Schreck vom Dach, oder er trifft das Baby.
    Vielleicht ist das die Wahrheit. Dementsprechend handelst du. Du siehst die Chance, etwas zu tun, egal, ob richtig oder falsch, und handelst.
    Das Adrenalin schießt dir ins Herz. Dein Zorn steigt ins Unermessliche. Er hat auf dich gewartet.
    Du trittst Ray in den Arsch und schlägst ihn nieder.
    Du steckst deine Waffe ein und gehst auf den Vater zu. Der Verhandlungsführer sieht dich und fängt an zu keifen und zu kreischen. Du widersetzt dich der Kommandokette, und das geht einem Haufen Leute ziemlich gegen den Strich.
    Einen Augenblick lang fragst du dich, ob die Scharfschützen jetzt dich anvisieren. Du hast das Gefühl, mitten im Fadenkreuz zu stehen, aber das hast du immer,
es ist also fast eine Erleichterung, zu wissen, dass es tatsächlich der Fall sein kann.
    Ein Blick zurück. Ray liegt noch am Boden und sieht dich an, aber diesmal anders. Scheiß drauf.
    Das war es wert.
    Polizist zu sein, mit den beiden kleinen Schweinehunden klarzukommen, die in deinem Bauch ihre Springmesser ziehen, das bedeutet, ständig zerrissen zu sein.
    Der Vater hält das Kind in den ausgestreckten Armen, wie Abraham, der dem Himmel ein Opfer bringt. Du hebst die Hände, eine Geste, die sagt: Komm schon, Mann, tu das nicht. Du hörst deine Stimme wie von weit her. Sie klingt freundlich, aber nicht beruhigend, als würdest du mit deinem älteren Bruder sprechen, mit dem du dich nicht sonderlich gut verstehst.
    Sie redet und redet, springt von einem Thema zum anderen. Sie spricht von Kummer, Neid, Vaterschaft, einer zweiten Ehe, dem Trainieren einer Jugendbaseballmannschaft. Die Stimme geht dir auf die Nerven, du willst, dass sie aufhört, aber sie redet weiter. Der Vater sagt auch, dass sie aufhören soll, aber sie

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