Der Gesandte der Götter (German Edition)
schallten. Dann war auf einmal alles still.
Angstvoll lauschend stand der Alte eine Zeit lang da. Da öffnete sich die Tür und Chiron trat heraus. Wirr hing ihm das Haar in die Stirn, sein Hemd war zerfetzt und über seine Wange zog sich ein blutiger Kratzer. Sein Gesicht jedoch war wie versteinert.
„Herr, was habt Ihr getan?“ fragte der alte Diener mit bebender Stimme.
„Das, was Menas mit Darona tat!“ sagte Chiron tonlos. „Loara wird nun nie mehr über Darona und ihr Schicksal abfällige Bemerkungen machen.“
„Ihr habt sie doch nicht getötet?“ rief Ordin erschrocken.
„Nein, ich habe sie nicht getötet“, antwortete Chiron, „ich habe nur ihren Hochmut gebrochen und sie die Erfahrung einer missbrauchten Frau gelehrt.“ Dann wandte er sich ab und ging hinaus in die Dunkelheit.
Leise schlich Ordin zu Loaras Zimmer und legte sein Ohr an die Tür. Sein Herz zog sich zusammen, als er das verzweifelte Schluchzen des Mädchens hörte. Was hatte der Hass nur aus Chiron gemacht? Wo war der sanfte, liebenswürdige Mann mit dem fröhlichen Wesen, den er einst gekannt hatte? Wie musste der Schmerz über Daronas Schicksal und der Verrat des Bruders in seinem Herzen bohren, dass er zu einer solchen Tat fähig gewesen war!
„Verzeiht ihm, ihr Götter!“ bat Ordin leise. „Allzu hart habt ihr ihn geprüft! Die grausigen Verbrechen, die man an ihm und seiner geliebten Braut begangen hat, müssen das weichste Herz verhärten.“ Arme Prinzessin Loara“ , dachte er dann. Wenn er sie doch nur hätte trösten können!
Etwa eine Stunde später kam Chiron zurück. Immer noch waren seine Züge starr, und Ordin konnte nichts an seinem Gesicht ablesen. Stumm setzte Chiron sich in einen Sessel, ergriff eine Kanne mit Wein und begann zu trinken. Langsam aber stetig trank er Becher für Becher. Als die Kanne leer war, ging er hinaus und brachte sie bis zum Rand gefüllt zurück. Dann trank er weiter.
„Wollt Ihr nicht schlafen gehen, Herr?“ fragte Ordin leise.
„Lass mich, Ordin“, murmelte Chiron, „und geh zu Bett! Ich will allein sein!“
Traurig erhob sich der Alte und ging hinaus.
3. Eine unerwartete Wendung
Als der Morgen graute, hörte Ordin Chiron mit schweren Schritten durch die Halle gehen. Rasch war er an der Tür und sah, wie Chiron auf Loaras Zimmer zuging.
„Herr!“ schrie er erschrocken.
Mit ausdruckslosen Augen wandte Chiron sich um. „Du brauchst keine Angst zu haben“, sagte er. „Ich werde ihr nichts mehr tun.“
Obwohl Chiron die ganze Nacht getrunken zu haben schien, wankte er nicht, und seine Stimme war erstaunlich klar. Doch sein Gesicht war bleich und tiefe Schatten lagen unter seinen Augen. Er öffnete die Tür zu Loara Zimmer und trat ein. Mit einem leisen Schrei fuhr sie hoch und zog ängstlich die Bettdecke bis zum Kinn, als sie ihn auf sich zukommen sah.
„Ihr braucht nichts mehr zu fürchten, Prinzessin“, sagte er müde. „Ich bin nicht gekommen, um Euch noch mehr Leid anzutun, sondern um Euch zu sagen, dass Ihr frei seid. Sobald es hell geworden ist, kann Ordin Euch bis in die Nähe des Schlosses bringen. Aber er wird Euch die Augen verbinden müssen, damit Ihr den Weg zu uns nicht verraten könnt. Ich möchte Euch nur noch sagen, dass es mir sehr Leid tut, was ich Euch in dieser Nacht antat, auch wenn das nichts wieder gutmacht. Doch der Schmerz über das Schicksal meiner Braut hat mir den Verstand geraubt und Eure mitleidlosen Worte haben den Rest dazugetan. Ich bitte Euch nicht um Vergebung, denn ich weiß, dass man ein solches Unrecht nicht vergeben kann. Und nun, lebt wohl, Prinzessin! Sagt Menas, ich würde ihn seinem Schicksal überlassen, das ihn bald ereilen wird, wenn die Götter gerecht sind. Er braucht nicht nach mir suchen zu lassen, denn sobald Ordin zurück ist, werde ich das Land verlassen und es nicht mehr betreten, solange Menas lebt.“
Chiron legte den Schlüssel auf den Tisch und wandte sich zu Tür. Doch da rief Loara ihn zurück: „Wartet, Chiron! Auch ich habe Euch etwas zu sagen!“
Ungläubig drehte sich Chiron um. „Habt Ihr wirklich Chiron zu mir gesagt? Heißt das, dass Ihr meiner Geschichte nun doch Glauben schenkt?“
„Ja, ich glaube Euch!“ sagte sie leise. „Ich weiß jetzt, dass alles, was Ihr mir erzählt habt, wahr ist, denn ich sah Eure Augen, als Ihr … es … es tatet. Und ich sah den Schmerz und den Hass in ihnen. Ich kann
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