Der Gesandte der Götter (German Edition)
ich will kein Lösegeld für Euch“, antwortete Chiron. „Wenn ihr bereit seid, mir zuzuhören, werde ich Euch eine Geschichte erzählen – eine Geschichte von einem anderen König und seiner jungen Braut und was den beiden widerfahren ist. Setzt Euch und esst – und ich erzähle Euch die Geschichte. Danach werdet Ihr dann wissen, warum Ihr hier seid.“
Tatsächlich ließ sich Loara am Tisch nieder und begann zu essen. Bewundernd blickte Chiron sie an. Nachdem sie ihre erste Wut und anfängliche Verzweiflung überwunden hatte, wirkte die Prinzessin nun wirklich so unnahbar und kühl, als säße sie am Tisch ihres Vaters und nicht als Gefangene ihrem Kerkermeister gegenüber. Auch sie betrachtete Chiron prüfend und fand, dass er eigentlich nicht wie ein Verbrecher aussah. Im Gegenteil, hätte sie ihn unter anderen Umständen kennengelernt, wäre er ihr wohl sofort sympathisch gewesen. Wahrscheinlich hätte er sogar ihr Interesse geweckt, denn er entsprach ihrer Vorstellung von einem Mann, der durchaus einen zweiten Blick wert war.
„Eure Geschichte!“ sagte sie zwischen zwei Bissen. „Erzählt, aber langweilt mich nicht!“
Ein kleines Lächeln zog bei dieser Rede über Chirons Lippen, doch dann ließ er sich in einem Sessel nieder und begann zu erzählen – als handele es sich um ein Märchen und nicht um die grausame Wahrheit:
„In einem glücklichen Königreich lebte einmal ein König. Er hatte einen jüngeren Halbbruder, den er von Herzen liebte. Obwohl dieser Jüngling ein böses Herz hatte, wollte der König dies nicht sehen und fand stets eine Entschuldigung für die Unarten des Bruders. Eines Tages kam ein Magier an den Hof des jungen Königs und bot ihm seine Dienste an. Der Herrscher nahm ihn auf, doch bald musste er feststellen, dass dieser Magier eine schwarze Seele hatte, und darum jagte er ihn davon. Doch ohne sein Wissen hatte sein Bruder einen Pakt mit dem Magier geschlossen, und dieser versprach dem jungen Mann, ihm zum Thron seines Bruders zu verhelfen. Als Belohnung für diese üble Tat sollte der Magier dann die Stellung als einziger Ratgeber des neuen Königs erhalten. Es ergab sich auch bald eine Gelegenheit, den Plan auszuführen und den König zu verderben. Dieser hatte nämlich eine schöne Braut, an der sein ganzes Herz hing. Eines Tages nun brach der König auf, um seiner Braut entgegenzureiten, denn die Hochzeit sollte bald stattfinden. Nur wenige Getreue nahm er mit auf seinen Weg, denn das Land lag in Frieden.
Die beiden Ränkeschmiede jedoch hatten einen Widersacher des Königs bestochen, ihn auf seinem Ritt zu überfallen und für immer in einem Kerker verschwinden zu lassen. Der böse Plan gelang, und der junge König blieb verschollen. Die Braut des Herrschers jedoch war ihrem Geliebten entgegen gezogen, als er nicht am Treffpunkt erschien. Sie fand die Mannen des Königs erschlagen auf dem Weg, doch von ihrem Bräutigam fehlte jede Spur. So eilte sie zu seinem Bruder, um ihm das Unglück zu melden. Dieser empfingen sie mit heuchlerischer Freundlichkeit und stellte sich, als unternehme er alles, um den Bruder zu finden.
Als nach einigen Wochen immer noch keine Nachricht über den Verbleib des Vermissten gefunden worden war, änderte sich das Verhalten des Bruders jedoch. Unverschämt begann er, der Prinzessin den Hof zu machen, denn sie war ein reizendes Mädchen und hatte seine Begierde erweckt. Doch sie wies ihn entrüstet ab, denn sie liebte ihren Bräutigam und hoffte immer noch, dass er zurückkäme. Der heimtückische Bruder beschwichtigte sie wieder, und es gelang ihm, sie davon zu überzeugen, weiterhin auf ihren Geliebten zu warten, aber ihr Gefolge zu ihrem Vater zurückzusenden. Nur zwei Ihrer Dienerinnen behielt die Ahnungslose bei sich. Doch der schwarze Magier vergiftete die beiden Frauen, so dass die Prinzessin nun völlig schutzlos und allein war. Und da nahm sich der Bruder, dieser Unhold, mit Gewalt, was die Prinzessin ihm nicht freiwillig hatte gewähren wollen. Wochenlang unterwarf er das zarte Mädchen seinen Gelüsten und der Folter, denn er quälte gern. Damit niemand im Schloss erfuhr, welche Untaten er beging, ließ er verlauten, die Prinzessin habe eine ansteckende Krankheit und niemand dürfe zu ihr. Als er sie satt hatte und ihr schöner Körper von seinen Martern zerstört war, ließ er auch sie durch den Magier vergiften. Dann erklärte er den verschollenen König für tot und bestieg den Thron. Und nun begann er, das
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