Der Gesandte der Götter (German Edition)
zu wissen, dass er wirklich Chiron ist, denn er sieht seiner Mutter sehr ähnlich. Von diesen Besuchen her kannte ich auch Ordin, der den kleinen Prinzen damals hütete. Als ich hörte, dass er mitgekommen war, ließ ich ihn zu mir kommen und habe ihn ausgefragt. Unter Tränen erzählte mir der alte Mann, dass Chiron mit dir ging, obwohl er erwartete, von deinem Vater getötet zu werden. Er war bereit zu sterben, um zu sühnen, was er dir antat. Er liebt dich und es ist ihm unerträglich zu wissen, dass du leidest. Nachts wirft er sich stöhnend auf seinem Lager umher und ruft deinen Namen. Glaubst du nun noch immer, dass er dir noch einmal Gewalt antun könnte?“
„Aber Mutter!“ Loaras Lippen bebten. „Wenn ich ihn heirate, wird er doch wieder …“ Sie verstummte und senkte den Kopf.
Die Königin zog sie fest in die Arme. „Mein Liebling!“ sagte sie leise. „Ich habe in den Armen deines Vaters stets nur Glück und Zärtlichkeit gefunden, und ich bin sicher, dass du das Gleiche auch bei Chiron finden könntest, wenn es dir nur gelingt, deine verständliche Angst zu überwinden. Vielleicht hilft dir dabei das Wissen, dass er sich selbst genauso viel angetan hat wie dir. Wenn du dich ihm auch noch nicht jetzt sofort zuwenden kannst und erst einmal mit deinem Erlebnis fertig werden musst, so versuche doch zumindest, auch ein wenig Verständnis für ihn zu haben. Ich weiß, dass er nur deshalb zu einer solchen Tat fähig war, weil man ihm mehr angetan hat, als ein Mensch verkraften kann. Versuche – wenn du dich überwinden kannst – ihm ein wenig Freundlichkeit entgegenzubringen. Das wird auch dir Trost geben, denn ihr beide tut mir Leid in eurem Zwiespalt. Ich fürchte nämlich, er wird uns bald verlassen. Soradan hatte ihm versprochen, ihm bei der Rückgewinnung seiner Krone zu helfen, und dieses Versprechen wird dein Vater halten, wenn auch widerwillig. Chiron aber hat es abgelehnt, sich dem Heer anzuschließen, das Soradan aufstellt und mit dem er nach Varannia ziehen will, da Leoris noch nicht zurück ist. Chiron hat sich vergeblich bemüht, deinen Vater vom Krieg abzuhalten, da er nicht will, dass sein Volk für Menas leidet. Nun will Chiron versuchen, allein nach Varannia zurückzukehren, um herauszufinden, was aus Leoris geworden ist. Er glaubt nicht, dass Menas es gewagt hat, deinen Bruder umzubringen, zumal er ihm als Geisel weitaus nützlicher ist. In drei Tagen will er aufbrechen, und dann geht er großen Gefahren entgegen! Überlege gut, ob du ihn so ohne Hoffnung ziehen lassen willst.“
Miria erhob sich und küsste das Mädchen auf die Stirn. Dann verließ sie den Raum. Nachdenklich blieb Loara zurück.
Am nächsten Abend saß Chiron das erste Mal an der königlichen Tafel. Er war dem Wunsch der Königin gefolgt, obwohl er sich sehr unbehaglich fühlte. Er wusste genau, dass sowohl der König als auch die Königin sein Vergehen kannten, und wagte daher kaum, den Blick zu heben. Doch die Königin lächelte ihm zu, und auch Soradans Augen waren nicht mehr ganz so grimmig. Einmal schaute Chiron Loara an und sie erwiderte seinen Blick, wobei ein scheues Lächeln über ihr Gesicht flog. Chiron schnitt es tief ins Herz. Wo war das stolze, hochmütige Mädchen, die kleine Wildkatze? Hatte er das alles zerbrochen?
Doch auch Loara wunderte sich. War er derselbe Mann, der sie mit kühnem Griff auf sein Pferd gezogen hatte, dessen wilder Blick sie erschreckt und der ihren Angriff mit kühler Gelassenheit gebändigt hatte, so dass sie ihm nur noch im hilflosen Zorn eine Vase hatte nachwerfen können? Die Schwermut in seinen Augen erschreckte sie und sein schuldbewusster Blick tat ihr weh. Sie erhob sich daher von der Tafel und bat ihre Eltern, sich zurückziehen zu dürfen. Kurze Zeit später erhob sich auch das Königspaar und Chiron atmete erleichtert auf.
Loara war in den Park gegangen. Sie hatte Kopfschmerzen und meinte, in ihrem Zimmer keine Luft zu bekommen. So saß sie auf einer Bank und schaute auf den See hinaus, dessen dunkle Oberfläche der Nachtwind leicht kräuselte. Auf einmal hörte sie Schritte. Chiron kam den Weg entlang, und als Loara aufstand, bemerkte er sie.
„Verzeiht, Prinzessin!“ sagte er und verbeugte sich. „Ich wusste nicht, dass Ihr hier seid, sonst hätte ich Euch nicht gestört.“
„Ihr stört mich nicht“, antwortete sie. „Aber es ist gut, dass ich Euch sehe, denn ich möchte Euch etwas fragen. Stimmt es, dass Ihr in Euer Land
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