Der Gesandte der Götter (German Edition)
nicht fähig, ihm zu gestehen, dass auch sie ihn liebte.
Darum wich sie aus: „Es ist weder Mitleid noch Geringschätzung, die meinen Vater davon abhalten, Euch zur Rechenschaft ziehen – seid beruhigt! Aber erlasst es mir, Euch den Grund zu nennen, ich bitte Euch!“
„Gut, Prinzessin, ich füge mich Eurem Wunsch“, antwortete Chiron. „Aber da ich diesen nicht verstehen kann, werde ich morgen zu Eurem Vater gehen und ihn selbst fragen. Ich kann das so nicht auf sich beruhen lassen. Ich muss Gewissheit haben!“
Damit verbeugte er sich vor Loara und ging zurück ins Schloss. Verwirrt sah sie ihm nach. Was würde der Vater ihm antworten? Chiron durfte nicht erfahren, welche Gefühle sie ihm entgegenbrachte. Eilig lief darum auch sie zurück ins Schloss. Sie fand ihren Vater in seinem Arbeitszimmer. Erstaunt hob er die Augenbrauen, als Loara hereingestürmt kam.
„Was ist geschehen, mein Kind?“ fragte er besorgt.
Loara erzählte ihm von ihrem Gespräch mit Chiron und von dessen Vorhaben, ihn am nächsten Tag aufzusuchen. Als sie den Vater bat, Chiron nichts von ihrer Fürsprache zu sagen, runzelte er die Stirn.
„Du stellst mich vor ein schwieriges Problem, Loara“, sagte er ungehalten. „Was soll ich Chiron denn antworten, ohne dich zu verraten, aber auch ohne seinen Stolz zu verletzen, was ja wohl auch nicht in deinem Sinne wäre? Denn immerhin ist er ein König wie ich und mir ebenbürtig und kann daher verlangen, dass ich seinen Wunsch, sich zu verantworten, respektiere. Welche Sühne soll ich ihm auferlegen, wenn du seinen Tod nicht willst, ich ihn aber auch nicht zwingen soll, deine Ehre durch eine Heirat wiederherzustellen, weil du das ebenso wenig möchtest? Ich war eigentlich entschlossen, das doch von ihm zu verlangen, da es die beste Lösung für alle wäre.“
„Um der Götter willen, nein, Vater! Bitte zwinge mich nicht dazu, ich kann ihn nicht heiraten!“ rief Loara entsetzt. „Du wirst schon etwas finden, was du ihm antworten kannst. Du hast immer gewusst, wie du mir helfen kannst, denn du bist der beste Vater, den ein Mädchen sich wünschen kann“, schmeichelte sie dann und schmiegte sich in Soradans Arme.
„Kleine Hexe!“ lächelte Soradan und strich ihr übers Haar. „Du weißt genau, was du tun musst, um mich herum zu kriegen, genau wie deine Mutter. Geh nun schlafen! Es wird mir schon etwas einfallen.“
Am nächsten Morgen sprach Chiron tatsächlich bei Soradan vor. Ohne Umschweife kam auf den Grund, der ihn um diese Audienz hatte ersuchen lassen.
„Ich weiß genau, Königs Soradan, dass mein Verbrechen Euch bekannt ist“, sagte er fest. „Und doch habt Ihr bis jetzt keine Anstalten gemacht, mir meine Tat auch nur vorzuwerfen, geschweige denn, mich zur Verantwortung zu ziehen oder dafür zu strafen. Ich frage mich natürlich, warum das so ist. Es kann nicht daran liegen, dass ich verwundet war, denn ich bin schon seit geraumer Zeit wieder völlig genesen. Glaubt Ihr, das Schicksal habe mich gebrochen und hegt Ihr Mitleid für mich wie für einen Hund, der nur gebissen hat, weil man ihn trat? Fast scheint es mir so, denn Ihr überschüttet mich mit Wohltaten, ladet mich zu Eurer Tafel und habt mir sogar Eure Hilfe bei der Rückgewinnung meiner Krone angeboten, als sei ich Euer Verbündeter und nicht der Mann, der die Ehre Eurer Tochter in den Staub trat. Erachtet Ihr mich für so gering, dass ich es nicht einmal wert bin, das Schwert Eures Henkers zu spüren? Und wenn Ihr auch meinen Tod nicht wollt, warum lasst Ihr mich nicht in den Kerker werfen? Ich kann nachvollziehen, dass Ihr von mir nicht verlangen wollt, Eure Tochter zu heiraten, denn ich bin ein König ohne Thron und Land und daher kaum ein Schwiegersohn, den ihr Euch wünschen würdet. Welche Zukunft sollte ich Loara wohl bieten können? Wenn ihr mich also für so ehrlos und nichtswürdig haltet, dass Euch an einer Sühne durch mich nichts liegt, dann sagt es mir! Dann werde ich mich hier vor Euren Augen in mein Schwert stürzen, um meine Ehre und somit auch die Eurer Tochter wiederherzustellen. Denn ziehe ich jetzt in mein Land und versuche, Nachricht von Eurem Sohn zu erlangen, und ereilt mich irgendwo der Tod, ohne dass mir mein Vorhaben gelingt, so sterbe ich, ohne meine Schuld gesühnt zu haben. Dann habe ich nicht einmal an Eurem Sohn gutmachen können, was ich an Eurer Tochter gefehlt habe.“
Soradan sah ihm eine Weile ernst in die Augen, ohne zu
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