Der Gesandte der Götter (German Edition)
die man ihm und Ordin angewiesen hatte, kaum verlassen. Seit ihrer Ankunft im Schloss hatte er auch Loara nicht mehr gesehen.
Ordin machte sich Sorgen um seinen Herrn. Chiron sprach kaum und saß meist grübelnd am Fenster. Doch sein Blick ging ins Leere und er schien die Schönheit des Parks kaum wahrzunehmen. Das einzig Sinnvolle, das er tat, war die Übung seiner Kräfte. Da die Wunde völlig verheilt war, hatte er begonnen, seinen Körper nach dem langen Liegen wieder an die Bewegung zu gewöhnen. Durch seine verbissenen Anstrengungen erreichte er in kurzer Zeit wieder den vollen Gebrauch seiner durch die Untätigkeit geschwächten Glieder.
So sagte er an diesem Tag zu Ordin, er wolle in den Park, um sich etwas im Laufen zu üben. Ordin sah ihm vom Fenster aus zu, wie er nur mit einer Kniehose bekleidet barfuß durch den Park lief.
Doch noch jemand beobachtete Chiron: Loara hatte ihn hinausgehen sehen und stand nun hinter einem Vorhang und schaute ihm zu, wie er um den kleinen See lief. Nachdem Chiron das Wasser dreimal umrundet hatte, sprang er hinein und durchschwamm den See mit schnellen, kraftvollen Zügen. Am anderen Ufer angekommen, verließ er das Wasser und lief weiter. Noch dreimal umkreist er den See, dann lenkte er seine Schritte zum Schloss zurück.
In Loara kämpften widerstreitende Gefühle, als sie ihn näher kommen sah. Seine große, breite Gestalt hatte wieder an Gewicht zugenommen und er war nicht mehr so hager wie zu der Zeit, als sie ihn das erste Mal gesehen hatte. Durch die täglichen Übungen bewegte er sich wieder geschmeidig und locker. Die nasse Hose klebte an seinen kräftigen Schenkeln und legte sich eng an die schmalen Hüften. Das feuchte Haar ringelte sich über seiner Stirn und im Nacken. Die atemlos geöffneten Lippen ließen sein Gesicht weicher und gelöster erscheinen. Loara errötete, als sie feststellen musste, dass sie sich mit jeder Faser ihres Herzens danach sehnte, sich fest in seine Arme zu schmiegen. Gleichzeitig aber erinnerte sie sich daran, dass derselbe Körper, dessen Nähe sie jetzt ersehnte, sie mit gewaltiger Kraft in die Kissen gedrückt hatte, wie dieselben Hände, nach deren zartem Streicheln es sie verlangte, brutal ihrer Kleidung zerrissen hatten und wie der Mund, dessen sanfte Berührung ihrer Lippen sie sich wünschte, sich hart und verlangend auf den ihren gepresst hatte. Wie oft hatte sie seither nachts wach gelegen, gequält von der schrecklichen Erinnerung! Immer wieder sah sie seine Augen, erfüllt von Schmerz, Hass und einer wilden Leidenschaft. Immer wieder spürte sie den brennenden Schmerz, der sie zerriss, und fühlte Chirons fordernde Hände auf ihrem Körper. Ein Schauder überlief Loara. Nein, lieber würde sie an ihrer Sehnsucht verzweifeln, als so etwas noch einmal erdulden zu müssen!
Loara fuhr aus ihren Gedanken hoch, als jemand den Raum betrat. Es war Königin Miria, ihre Mutter. Sie ging auf Loara zu und fasste sie sanft bei den Schultern.
„Du siehst schlecht aus, mein Kind“, sagte die Königin, „und es macht mir Sorgen, dass du kaum noch isst. Daher möchte ich gern einmal mit dir sprechen. Komm, setz dich ein Weilchen zu mir.“ Sie zog Loara neben sich auf ein gemütliches Sofa und legte den Arm um sie. „Ich weiß, was dich bedrückt“, fuhr sie fort. „Dein Vater hat mir erzählt, was dir widerfahren ist. Und er hat mir auch gesagt, dass du Chiron trotz allem liebst. Aber ich kann gut verstehen, Loara, dass du nun Angst vor den Männern und besonders vor Chiron hast, zumal er der Bruder von Menas ist und du Daronas Geschichte kennst. Doch Chiron ist kein wildes Tier wie Menas, auch wenn es vielleicht den Anschein hatte. Ich kannte Chiron schon als Kind und kann dir versichern, dass er ein sanftes Wesen und ein gutes Herz hat. Immer war er das genaue Gegenteil seines jüngeren Bruders, den er von so mancher Schandtat abgehalten hat. Und ich weiß noch etwas anderes: Chiron liebt dich auch, und wenn du ihn jetzt heiraten würdest, brauchtest du dich nie wieder vor ihm zu fürchten.“
„Woher willst du wissen, dass Chiron mich liebt?“ fragte Loara verwundert. „Hat er es dir gesagt?“
„Nein, mein Kind, er nicht. Aber der alte Ordin hat es mir erzählt. Ich sagte dir ja eben schon, dass ich Chiron bereits als Kind kannte. Seine Mutter und ich waren weitläufig verwandt und wir sind zusammen aufgewachsen. Daher habe ich sie auch später ab und zu besucht. Ich hätte keine Beweise gebraucht, um
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