Der Gesandte der Götter (German Edition)
Erschrecken zeigt sich in ihnen, als er Loara erkannte.
„Oh, Loara!“ hauchte er. „Wie konnten die Götter es zulassen, dass auch Ihr wieder in Menas‘ Hände fallt!“ Sein Blick war abwesend und verschleiert.
„Wir sind nicht gefangen, Chiron! Wir sind frei!“ jauchzte Loara. „Ich habe euch beide aus dem Kerker geholt. Wir sind jetzt in dem Geheimgang. Aber wir wussten nicht, wie wir Euch an dem Felsen vorbeigekommen sollten, solange Ihr noch bewusstlos wart.“
„Frei?“ Chiron wollte hochfahren, sank aber mit einem Stöhnen wieder zurück. Doch nun hatte sich sein Blick geklärt. „Ja, jetzt sehe ich es, wir sind tatsächlich im Stollen! Doch wie komme ich hierher?“
„Ich habe Euch getragen“, sagte Leoris. „Wir konnten nicht warten, bis Ihr zu Bewusstsein kamt, und auch jetzt drängt die Zeit. Glaubt ihr, dass Ihr es schafft, durch den Spalt zu kommen, wenn wir Euch helfen?“
„Es muss gehen!“ antwortete Chiron. „Doch ich fürchte, dass alles umsonst war, denn Xoras wird schon wissen, dass wir entkommen sind. Durch seine dunklen Kräfte wird er bald auch unseren Aufenthaltsort wissen.“
„Nein, das wird er nicht“, sagte Loara. „Die Medaillons, die wir alle um den Hals tragen, schützen uns vor der Entdeckung durch den Magier. Trotzdem müssen wir uns beeilen. Spätestens wenn die Wachablösung kommt, wird eure Flucht entdeckt werden. Bis dahin müssen wir versuchen, einen Vorsprung zu bekommen.“
„Dann lasst uns jetzt weitergehen, wenn Ihr Euch in der Lage dazu fühlt“, sagte Leoris und stand auf. „Loara, geh du zuerst durch den Spalt! Dann kannst du Chiron auf der anderen Seite behilflich sein.“
Mit Leichtigkeit wand die schlanke Loara sich durch den Spalt. Leoris half Chiron beim Aufstehen. Er führte ihn die wenigen Schritte bis zu dem Felsblock. Jeder Schritt bereitete Chirons geschundenen Körper Schmerzen. Dann versuchte er, sich durch den schmalen Durchgang zu zwängen.
Schon auf dem Hinweg hatte er sich nur mit Gewalt durch die enge Lücke schieben können und sich dabei sein Wams aufgerissen. Als er nun seine restliche Kraft zusammen nahm und seinen Körper in den Spalt drückte, fuhren die groben Unebenheiten der Stollenwand wie ein Reibeisen über die aufgesprungenen Striemen auf seinem Rücken. Chiron schrie vor Schmerz, und von neuem drohte es ihm schwarz vor Augen zu werden. Noch einmal nahm er seinen ganzen Willen zusammen und presste sich mit zusammengebissenen Zähnen durch die Enge. Auf der anderen Seite sank er stöhnend zu Boden, ehe Loara in auffangen konnte. Er lag auf dem Gesicht und sein Atem ging schwer und pfeifend. Loara kniete neben ihm nieder. Tränen der Wut und des Mitleids stiegen in ihre Augen, als sie seinen blutverschmierten Rücken sah.
„Ihr Götter!“ murmelte sie. „Das wird Menas büßen, und wenn es das Letzte sein sollte, was ich tue!“
Auch Leoris hatte sich nun durch den Spalt gezwängt. Er trat zu den beiden und zog Loara sanft auf die Füße. Ohne sich um Chirons schwachen Protest zu kümmern, lud er ihn sich wieder auf die Schulter. Loara ging mit der Fackel voran. Einige Zeit später traten sie ins Freie. Leoris trug Chiron noch bis vor das Dornengestrüpp, wo er ihn im Gras absetzte. Dann warf er sich keuchend vor Anstrengung daneben. Der Schweiß brannte in den Striemen auf seinem Gesicht, die Menas‘ Peitsche gezogen hatte, als er in ein Feigling nannte, der sich nur an wehrlosen Opfern zu vergreifen wage.
Obwohl Chiron halb tot vor Schmerz und Erschöpfung war, richtete er sich jetzt auf.
„Wir müssen hier fort“, sagte er. „In dem Gang waren wir halbwegs vor Entdeckung sicher, aber hier sind wir im freien Gelände. Auch wenn es dunkel ist und die Stelle sehr abgelegen, mag uns vielleicht doch durch Zufall ein ungebetenes Auge sehen. Ich hoffe, dass mein Pferd noch in der Nähe ist, obwohl zwei Tage vergangen sind, seit ich es hier zurückließ. Es ist ein kluges und treues Tier und hat sich vielleicht nicht weit entfernt.“
Er stieß einen hellen Pfiff aus. Einige Minuten vergingen, aber dann hörte man tatsächlich Hufschlag. Chirons brauner Hengst, der bis auf die Farbe Loara Rappen wie ein Ei dem anderen glich, kam in vollem Galopp aus einem kleinen Gehölz in der Nähe. Er trug noch Sattel und Zaumzeug, genau wie Chiron ihn verlassen hatte.
„Ich gehe mein Pferd auch holen“, sagte Loara. „Es steht unweit vom Eingang der Burg. In welche
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