Der Gesandte der Götter (German Edition)
gerechter Herrscher bekannt. Die Leute werden ihm eher zujubeln, da er als Befreier von Menas‘ Tyrannei kommt. Seid also guten Muts! Eurem Volk wird nichts geschehen. Rotron hat das alles sehr weise vorausgesehen. Wenn wir bei meinem Vater eintreffen, werdet Ihr Euch an die Spitze des Heeres stellen und wir werden verkünden lassen, dass der rechtmäßige Herrscher von Varannia zurückgekehrt ist, um den Thron wieder zu beanspruchen. Ihr werdet sehen, alles wendet sich zum Guten!“
„Ich hoffe sehr, Loara, dass sich alles für mein Volk zum Guten wendet“, sagte Chiron ernst. „Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, damit das geschieht. Aber ich habe schon längst einen Entschluss gefasst:
Ich werde nicht zurückkehren, um den Thron zu besteigen, sondern nur, um Menas und Xoras zu vertreiben. Gelingt das, werde ich die Herrschaft in andere Hände legen und das Land für immer verlassen. Ein König soll das Vorbild seines Volkes sein. Doch wie könnte ich meinem Volk noch ein Vorbild sein? Ich, dessen Ehre befleckt ist und der nicht einmal in der Lage war, die Tat zu vollbringen, die mir als Sühne auferlegt war! Nein, Loara, ich bin es nicht wert, eine Krone zu tragen! Wiederum habe ich Rotron enttäuscht. Er hat mich angewiesen, auf die Götter zu vertrauen. Ich habe nur auf mich vertraut, und ihr seht, was dabei herausgekommen ist. Warum habe ich nicht nach ihm gerufen? Ich hätte es wenigstens versuchen müssen, auch wenn ich überzeugt war, dass ich seine Hilfe verspielt hatte. Schon wegen Leoris hätte ich in Demut um Rotrons Hilfe flehen müssen. Aber all mein Unglück scheint mich die Demut nicht gelehrt zu haben. Ich wollte mir selbst und der ganzen Welt beweisen, dass ich aus eigener Kraft das Unmögliche erreiche. Und als es misslang, habe ich resigniert, anstatt die Hilfe anderer zu suchen. So musste Rotron Euch in die Gefahr aussenden, um Leoris und nun auch noch mich zu retten. Hätte Leoris mich nur zurückgelassen! Nun werde ich vor Eurem Vater meiner Schande bekennen müssen, dass seine Tochter mir zum zweiten Mal das Leben rettete. Nun trifft mich sein Urteilsspruch, und mein weiteres Leben wird schlimmer sein als der grausamste Tod in Menas‘ Kerker. Soradan hat mich verurteilt, meine Schande zu tragen, bis der Tod mich ereilt. Da ich ihn mir mit eigener Hand nicht bringen darf, werde ich ihn ab jetzt suchen müssen, wo immer er sich mir entgegenstellen mag, wenn Ihr erst in Sicherheit seid. Denn zumindest das muss mir gelingen: Euch sicher in die Obhut Eures Vaters zurückzubringen! Darum solltet Ihr jetzt schlafen gehen, denn ich kann Euch die Strapazen des vor uns liegenden Wegs leider nicht ersparen. Es wäre zu gefährlich, hier abzuwarten, bis Soradans Heer kommt. Wer weiß, ob es Xoras nicht doch gelingt, unseren Schutzzauber zu brechen, und leicht könnte auch der Zufall zum Verräter werden. Dann würde ich auch noch das Leben dieser beiden guten Leute in Gefahr bringen, die schon ihr Hab und Gut und ihren einzigen Sohn verloren haben. Deshalb müssen wir diesen Hof so schnell wie möglich verlassen.“
Er legte leicht seine Hand auf Loara Schulter und wollte sie zum Haus zurück geleiten.
Das Mädchen war von Chirons Worten tief aufgewühlt. Sie hatte geglaubt, dass sich mit seiner Befreiung sein Schicksal gewendet habe und er mit Rotrons Hilfe wieder zu seinem Volk zurückkehren würde. Tief in ihrem Inneren hatte sie gehofft, mit der Zeit ihre Furcht vor ihm besiegen und doch noch zu ihm finden zu können. Doch nun wurde ihr klar, dass sich ihre Hoffnung nicht erfüllen würde, wenn es ihr nicht gelang, ihn von seinem Entschluss abzubringen. Gelang der Sieg über Menas und Xoras, würde er fortgehen und sie würde ihn nie wiedersehen.
Wie ein Schwert fuhr ihr der Gedanke an eine Trennung von ihm durch die Seele und sie spürte, dass dieser Schmerz alle Furcht in ihr verstummen ließ. Nein, er durfte nicht gehen! Er sollte sich nicht länger wegen eines Unrechts quälen, das für sie schon jeden Schrecken verloren hatte.
„Hört mich an, Chiron!“ sagte sie daher. „Das, was ihr da vorhabt, darf nicht geschehen! Ihr habt nicht versagt, denn im Grunde genommen wart Ihr es doch, der Leoris rettete. Rotron sandte mich nicht aus, um meinen Bruder zu befreien, sondern um Euch Hilfe zu bringen. Nur durch einen bösen Zufall konnte ich Euch nicht einholen, ehe Ihr in die Burg eindringen konntet. All die Dinge, die mir Eure Befreiung
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