Der Gesandte der Götter (German Edition)
fassen. Doch nun komm, verbinde mich, denn die Wunden schmerzen mich wirklich sehr.“
Verständnislos hatte Elina zugehört, doch sie wagte nicht, ihn nach der Bedeutung seiner Worte zu fragen. Kurze Zeit später hatte sie seine Wunden versorgt und er konnte nun sein Hemd überziehen.
Man saß nicht mehr lange beisammen. Die Bauersleute waren verlegen wegen Loaras Kummer, und Leoris und Chiron hingen ihren eigenen Gedanken nach, so dass die Unterhaltung einsilbig geworden war. Kurze Zeit später gingen alle schlafen.
Trotz der Proteste der beiden Alten hatten Chiron und Leoris darauf bestanden, auf dem Heuboden zu schlafen. So hatte Elina Ihnen einige Decken mitgegeben und sie hatten es sich im Heu gemütlich gemacht. Nur wenig später hörte Chiron an Leoris‘ ruhigem Atem, dass der Prinz fest eingeschlafen war.
Chiron jedoch fand trotz seiner Müdigkeit keinen Schlaf. Elinas Worte hatten ihm klar werden lassen, dass er die ihm von Soradan zur Sühne ausgesetzte Aufgabe nicht erfüllt hatte. Durch die Folter im Kerker und dann durch die überstürzte Flucht war ihm das nicht bewusst geworden. Vielleicht hatte er es später auch verdrängt, weil der Gedanke an die Freiheit alles andere überdeckt hatte. Doch nun stand ihm sein Scheitern deutlich vor Augen. Loara hatte vollbracht, was ihm auferlegt worden war. Sie hatte ihn zu Befreiung ihres Bruders nicht gebraucht. So hatte er seine Schuld nicht begleichen können, im Gegenteil – dadurch, dass sie auch ihn befreit hatte, stand er noch viel tiefer in der ihren!
Chiron war verzweifelt. Er fühlte sich nutzlos und ohne Wert – ein streunender Hund, den man nach Belieben ankettete und prügelte und der noch dazu in blindem Hass die Hand gebissen hatte, die ihm jetzt die Freiheit und das Leben schenkte! Er lachte bitter. Der mächtige, edle König Chiron! War er das wirklich einmal gewesen? Das war lange vorbei! Was war er denn jetzt noch? Ein Vagabund, vogelfrei im eigenen Land, verachtet im Reich seiner Nachbarn, ehrlos und gejagt! Er war nicht mal fähig gewesen, sich die Gunst der Götter zu seinem und zum Nutzen seines Landes zu erhalten. Sie hatten sich Loaras bedienen müssen, um ihren Willen zu erfüllen, dass Leoris gerettet würde.
Das Gefühl von Minderwertigkeit und Unfähigkeit erfüllte Chiron mit selbstquälerischer Pein, die ihn nicht länger auf seinem Lager hielt. Leise erhob er sich und verließ die Scheune.
Als er sich der Ecke des Schuppens näherte, hörte er ein Geräusch. Seine Hand fuhr zur Hüfte, aber er griff ins Leere. Er hatte ja kein Schwert mehr. Vorsichtig spähte er um die Ecke und atmete dann erleichtert auf. Loara stand in der Dunkelheit vor dem Haus und sah zu den Sternen auf. Als er zu ihr trat, fuhr sie herum.
„Ach, Ihr seid es, Chiron!“ sagte sie erleichtert. „Ihr habt mich erschreckt!“
„Verzeiht, Prinzessin“, antwortete er, „aber es scheint mein Schicksal zu sein, dass ich Euch stets erschrecke! Aber was tut Ihr um diese späte Stunde hier draußen? Ihr solltet Euch ausruhen, da wir morgen sehr früh aufbrechen müssen. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns und wissen nicht, welche Gefahren noch auf uns warten. Doch kommt ein Stück vom Haus fort, damit wir mit unserem Gespräch niemanden wecken.“ Er ergriff sanft ihren Arm und führte sie ein Stück in die Wiese hinein.
„Unser Weg wird wohl nicht so weit sein, wie Ihr annehmt“, meinte Loara. „Ich hatte noch keine Gelegenheit, Euch zu sagen, dass mein Vater wohl mit einem großen Heer in Euer Land aufgebrochen sein wird. Er wusste nichts von meinem Vorhaben, Euch und Leoris zu befreien. Da ich ihm jedoch den Vorschlag unterbreitet hatte, zu Menas zurückzukehren, damit er Leoris freilässt, muß mein Vater annehmen, dass ich aus diesem Grund verschwunden bin. Er hatte meinen Vorschlag nämlich abgelehnt und wird nun befürchten, dass ich durch meinen Eigensinn erneut in Menas‘ Hände geraten bin. Er wird wohl am nächsten Tag mein Verschwinden entdeckt haben und darum so bald als möglich mit dem Heer aufgebrochen sein, um Leoris und mich zu befreien. Somit dürften wir in etwa drei oder vier Tagen auf die Vorhut des Heeres stoßen.“
„Ihr Götter!“ entfuhr es Chiron. „Hoffentlich stellt mein Volk sich ihm nicht entgegen! Dann begänne das Blutvergießen, das ich vermeiden wollte.“
„Warum sollte Euer Volk sich ihm entgegenstellen?“ fragte Loara. „Mein Vater ist auch in Eurem Volk als weiser und
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