Der Gesandte der Götter (German Edition)
sie nach langem Zögern, nun doch die Abmachung einzuhalten, die Menas getroffen hatte, und die Burg auf Gnade und Ungnade zu übergeben.
Großes Erstaunen herrschte darum in Soradans Heer, als auf einmal auf der Burg die Fanfaren erneut erklangen und sich das Tor weit öffnete. Waffenlos kamen die Verteidiger der Burg auf das Brachfeld vor dem Lager gezogen. Der Anführer der Soldaten trug als einziger ein Schwert, das er zum Zeichen der Unterwerfung zu Chirons Füßen niederlegte.
„Seid gnädig mit uns, König Chiron!“ bat der Mann mit gesenktem Blick. „Wir alle standen unter Xoras‘ Willen und konnten uns ihm nicht widersetzen. Es mag wohl sein, dass einige seinen Befehlen gern gehorchten, aber die meisten denken wie ich und sind froh, dass der Spuk endlich vorbei ist. Denn Xoras ist auf einmal verschwunden. Wir wissen nicht, wo er geblieben ist, denn das Tor wurde ihm nicht geöffnet.“
„Seid ohne Furcht!“ antwortete Chiron. „Ich will euch nicht strafen. Wer von euch unter meiner Herrschaft leben will, kann das unbehelligt tun. Den anderen steht es frei, mein Land zu verlassen. Doch wer mein Land verlässt, zeigt damit, dass er mein Feind ist. Und bei Gefahr für Leib und Leben soll er die Grenzen Varannias nicht mehr überschreiten! Sag das deinen Männern!“ Auf einmal jedoch stutzte er und wandte sich zu Soradan um. „Wo ist Loara?“ fragte er. „Es wundert mich, dass sie nicht hier ist im Augenblick des Sieges. Sie soll an meiner Seite in die Burg einreiten.“
Auch Soradan und Leoris blicken sich suchend um. Durch das überraschende Ereignis war auch ihnen Loaras Fehlen entgangen.
„Sie war mir böse, dass ich ihr verbot, mit euch ins Schloss einzudringen, und hat sich daher beleidigt in ihr Zelt zurückgezogen“, sagte Soradan. „Wir wollen sie holen! Sicher hat sie noch nicht bemerkt, was sich hier zugetragen hat.“
Chiron und Leoris liefen zu Loaras Zelt, doch es war leer. Sofort begann die Suche, doch die Prinzessin wurde nirgendwo gefunden. Sorgenvoll kehrte Chiron in ihr Zelt zurück, um vielleicht einen Hinweis auf ihren Verbleib zu finden. Da durchzuckte ihn ein heißer Schrecken: Auf dem Hocker sah er ihr Medaillon liegen!
Er wusste sofort, was geschehen war. Wie ein Wahnsinniger stürzte er aus dem Zelt und schrie nach Leoris und Soradan. Im Nu waren die beiden zur Stelle.
„Was ist geschehen?“ stieß Soradan atemlos hervor.
„Xoras hat Loara entführt!“ stöhnte Chiron mit kraftloser Stimme.
„Wie kann das?“ fragte Leoris entsetzt. „Das Amulett schützt sie doch!“
„Sie hat es abgelegt!“ Völlig gebrochen sank Chiron in die Knie und hielt den beiden das Medaillon entgegen. „Ich weiß nicht, warum sie das tat. Aber Xoras muss erfahren haben, dass sie nicht mehr vor seinem Zugriff geschützt war und hat sie unbemerkt aus unserer Mitte geholt. Loara in Xoras‘ Hand! Oh, ihr Götter, was wird er mit ihr tun?“ Verzweifelt erhob er die Hände. „Hilf, Rotron! Ich bin am Ende meiner Kraft“, rief er. „Das ist mehr, als ein Mensch ertragen kann!“
Auch Soradan wankten die Knie und Leoris musste ihn stützen. Das Gesicht des jungen Prinzen war weiß wie Schnee. Hilflos blickte er von einem zum anderen.
Da stand Rotron vor ihnen. Niemand hatte gesehen, woher er gekommen war.
„Wiederum sage ich: Gut, dass du dich meiner erinnerst, Chiron!“ sprach er.
Chiron fuhr hoch. „Rotron!“ schrie er voll Freude und Angst. „Ihr seid meine letzte Hoffnung! Xoras hat …“
„Ich weiß!“ unterbrach ihn Rotron. „Doch beruhigt euch! Noch hat Xoras Loara kein Leid angetan. Er hat nicht die Kraft, sie auf weiten Strecken selbst zu befördern und muss daher zu Pferd fliehen, wenn er sich vor euch in Sicherheit bringen will. Seid unbesorgt! Wir werden ihn einholen. Nimm deinen Braunen, Chiron. Er soll dir nun seine wahre Schnelligkeit zeigen. Und du, Leoris, hole Loaras Rappen! Er ist Boras ebenbürtig. Mein Pferd steht draußen vor dem Lager. Und nun eilt euch! Wir haben keine Zeit zu verlieren. Und Euch, Soradan, bitte ich, inzwischen die Burg zu hüten, bis Chiron mit seiner Braut zurückkehrt. Denn ich gebe Euch mein Wort, dass ich Euch alle drei zurücksenden werde, wenn ich nicht selbst der Vernichtung anheimfalle. Xoras‘ Maß ist nun voll, und die Götter sind seiner Untaten überdrüssig. – Wir treffen uns draußen vor dem Lager“, sagte er dann zu Chiron und Leoris. Damit war er
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