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Der Gesandte des Papstes

Titel: Der Gesandte des Papstes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Lode
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Inzwischen war auch der Christ durch das Fenster geklettert und hatte sein Schwert gezogen. Raoul wusste, dass er seine Waffe nicht rechtzeitig unter der Leiche hervorzerren konnte. Hinkend lief er zur Dachkante.
    Die Häuser des Viertels drängten sich dicht an dicht um das Siechenhaus, sodass die Dächer eine zusammenhängende Fläche bildeten. Das Dach des nächsten Hauses hätte etwa zwei Ellen tiefer gelegen … wenn es noch existiert hätte. Aber von dem Gebäude stand nur noch das Gerippe, und vom Dach waren bloß die Balken übrig. Drei oder vier Mannslängen unter sich sah er den mit Steinen und Ziegeln bedeckten Boden.

    Jada wartete am anderen Ende eines Dachbalkens auf ihn. »Es trägt dich«, rief sie.
    Raoul kletterte die Dachkante hinunter und setzte beide Füße auf das Holz. Unter gewöhnlichen Umständen hätte es ihm keine Schwierigkeiten bereitet, über den Balken zur anderen Seite zu gelangen. Aber jetzt setzten ihm Schwindel und ein gefühllos werdendes Knie zu. Die Dunkelheit machte es nicht leichter.
    Beweg dich!, befahl er sich. Einen Schritt. Noch einen. Einen dritten. Er wandte den Kopf, hielt Ausschau nach seinen Verfolgern. Ein Fehler. Er verlor das Gleichgewicht, schwankte und ruderte mit den Armen, während die Finsternis unter ihm an ihm zog.
    Der Christ hatte seinen verbliebenen Gefährten vorgeschickt und kletterte nach diesem den Dachsims hinab. Der Balken ächzte, als er das Gewicht von zwei weiteren Männern tragen musste. Staub rieselte in die Tiefe. Raoul erschien es, als würde das gesamte Gerippe schwanken. Aber vielleicht täuschte der Schwindel nur seine Sinne.
    Er besann sich auf jeden Schritt, gab der Versuchung nicht nach, sich noch einmal umzudrehen. Er hatte etwa die Hälfte seines Wegs zurückgelegt, als sich der Dachstuhl plötzlich mit einem knirschenden Geräusch zur Seite neigte. Nur ein oder zwei Handbreit, aber alle drei Männer schrien gleichzeitig auf und rangen um ihr Gleichgewicht. Aus den Augenwinkeln sah Raoul, dass sein Gegner ihn fast eingeholt hatte. Noch einen Schritt, und er konnte ihn mit einem Streich seiner Axt vom Balken fegen.
    Er musste ein Wagnis eingehen. Es konnte sie alle drei das Leben kosten, aber wenn er nichts tat, war sein Tod sicher.
    Er stampfte mit beiden Füßen auf, was das Stützwerk wieder zum Schwanken brachte. Sein Knie dankte es mit neuem Schmerz, und er konnte nur mit Mühe verhindern, abzurutschen. Doch seine Gegner hatten damit nicht gerechnet. Der
Hüne ließ die Axt fallen, wankte und kippte zur Seite. Ein Schrei begleitete seinen Fall und endete jäh, als er auf den Trümmern aufschlug.
    Der Christ jedoch war aus einem anderen Holz geschnitzt. Nach kurzem Schwanken hatte er wieder festen Stand gefunden. Das Entsetzen in seiner Miene wich Zorn. Er biss die Zähne zusammen und kam langsam näher.
    Auch Raoul setzte sich wieder in Bewegung. In tiefen Zügen sog er Luft in seine Lungen, um dem Schwindel Herr zu werden. Jada wartete noch immer an der Dachkante, bereit, ihm die Hand zu reichen.
    Als er einige Ellen zurückgelegt hatte, entdeckte er, dass sich der Mauerstein, der den Balken hielt, gelockert hatte. Mit jedem Schritt, den Raoul und sein Gegner machten, knirschte es, und kleine Stücke Mörtel bröckelten herab. Raoul drängte die aufkommende Furcht zurück und zwang sich, immer nur an den nächsten Schritt zu denken … und nicht daran, mit zerschmetterten Gliedern in der Dunkelheit das Leben auszuhauchen.
    Er spürte die Gegenwart seines Verfolgers in seinem Rücken. Sowie der Mann auf Schwertlänge heran war, war er verloren. Eine Waffe, er brauchte eine Waffe!
    »Jada!«, rief er. »Ich brauche einen Knüppel. Ein Stück Holz. Irgendetwas!«
    Die Ägypterin verstand und sah sich suchend auf dem Dach um. »Hier ist nichts!«
    »Versuch es am Gerüst. Mach schnell!«
    Jada legte sich auf den Bauch und tastete die Überreste des Daches ab. Hinter sich hörte Raoul leises Lachen.
    »Das hilft dir auch nicht mehr, mein Freund«, sagte sein Verfolger. »Du stirbst gleich, und dann nehme ich mir dein Liebchen vor.«
    Raoul verzichtete auf eine Erwiderung. Denk nur an das, was vor dir liegt! Einen Schritt. Noch einen.
    »Sie gefällt mir, dein Liebchen. Woher hast du sie, aus welchem
Hurenhaus? Gewiss hat sie eine anständige Summe gekostet. Wie viel? Zehn Dirham? Fünfzehn?«
    Der Balken hatte keinen festen Halt mehr, lag nur noch lose auf. Mit jedem Schritt spürte Raoul, wie das Holz unter seinen Sohlen

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