Der Gesandte des Papstes
die Abzweigung, die ins Landesinnere führte. Die Bäume lichteten sich bald und gaben den Blick frei auf das Hügelland vor den Gipfeln der Sabiner Berge im Osten.
Rauch stieg hinter der vor ihm liegenden Hügelkuppe auf und zerfaserte im Wind. Es war nicht der Rauch eines Herdfeuers, sondern schwarzer, öliger Rauch, wie ihn nur ein größeres Feuer hervorbringen konnte, dem nicht nur Holz als Nahrung diente. Raoul war dieser Anblick inzwischen vertraut. Er hielt an und überlegte, ob er den Weg verlassen sollte, um nicht mit ansehen zu müssen, was hinter dem Hügel geschah. Doch ein
Umweg kostete ihn möglicherweise Stunden. Er wollte nicht erst bei Einbruch der Dunkelheit in Rom ankommen.
Sein grauer Hengst schnaubte und seine Nüstern waren aufgerissen. Er witterte das Feuer.
Raoul tätschelte ihm den Hals. »Ruhig, mein Guter. Wir halten uns hier nicht auf.« Er folgte weiter dem Weg, der zuerst durch eine Senke führte und dann erneut anstieg. Die Kastanien und Pinien auf den Hängen waren Reihen gepflegter Olivenbäume gewichen. Häuser aus grauem Stein krönten den Hügel.
Jacques hatte mit seiner Warnung nicht übertrieben. Es waren unruhige Zeiten im Land hinter den Alpen; Papst Bonifatius VIII. ging seit einigen Monaten unerbittlich gegen die Katharer vor, eine Bewegung, die der Kirche immer schon ein Dorn im Auge war. Hin und wieder hatte Raoul in seiner Heimat Katharer gesehen. Sein Vater, der als glühender Christ ins Heilige Land aufgebrochen und nach zwei Jahren des Kampfes gegen die Sarazenen voller Zweifel heimgekehrt war, hatte ihn gelehrt, dass Anhänger jeder Religion Respekt verdienten. Die Katharer, die in kleinen Gruppen durch das Land zogen, waren seltsame Gestalten, die meisten zerlumpt wie Bettler. Sie nannten sich »veri christiani«, die wahren Christen, hielten Gottesdienste unter freiem Himmel und in ihrer Muttersprache ab und betrachteten die strikte Hierarchie der Kirche Roms als Teufelswerk, ohne jedoch mehr zu unternehmen, als gegen sie zu predigen. Sie blieben unter sich und lebten von dem, was das Land hergab. Raoul hielt sie für harmlos. Die Kirche hingegen sah in ihnen eine Bedrohung ihrer Grundfesten und ging mit allen Mitteln gegen sie vor. Vor hundert Jahren hatten sich Papst und König von Frankreich zusammengeschlossen und die Hochburgen der Katharer im Languedoc vernichtet. Die Reste der Bewegung hatten sich daraufhin im Deutschen Reich ausgebreitet, bis an den Alpenrand.
Diese Eintracht zwischen dem Heiligen Stuhl und dem französischen Königshaus gehörte jedoch längst der Vergangenheit
an. Von einem Spielmann aus Paris, einem Weggefährten beim Ritt durch die Alpen, hatte Raoul erfahren, dass sich die einstigen Freunde Philipp IV. von Frankreich und Papst Bonifatius zerstritten hatten und einen gefährlichen Zwist austrugen. Beide beanspruchten die Position des mächtigsten Mannes des Abendlandes. Philipp hetzte sein Volk gegen den Papst auf, indem er verbreitete, Bonifatius praktiziere schwarze Magie und verschleudere die Reichtümer der Kirche zu seinem Vergnügen. Diese Gerüchte waren nicht neu - selbst im abgelegenen Bazerat hatte Raoul davon gehört. Doch der Mund eines Königs verlieh ihnen beträchtliches Gewicht, sodass der Papst gezwungen war, zu handeln. Er schrieb eine Bulle, in der er Philipps Ansprüche verurteilte, und ließ seine Truppen für den Krieg bereitmachen, um die Macht der Kirche zu demonstrieren.
Die Leidtragenden waren die Katharergemeinschaften in der Toskana und in Latium. Seit Florenz war Raoul an einem halben Dutzend niedergebrannter Dörfer vorbeigekommen, Siedlungen von Katharern oder Sympathisanten der Bewegung, die Bonifatius’ Soldaten zum Opfer gefallen waren. Manche wehrten sich, doch sie waren den schwer bewaffneten Kriegsknechten nicht gewachsen und wurden niedergemacht, ohne Rücksicht, ob Mann oder Frau, Kind oder Greis. Viele töteten sich von eigener Hand, um der Gefangennahme zu entgehen. Wem dies nicht gelang, der kam auf den Scheiterhaufen. Raoul hatte oft Hinrichtungen gesehen: Mörder, Vergewaltiger und Wegelagerer, die vor der Cathédrale St-Etienne in Metz gehenkt oder enthauptet wurden. Der Anblick berührte ihn schon lange nicht mehr. Doch Verbrennungen waren etwas anderes. Die Opfer schrien, dass einem das Blut gefror, und sie schrien lange, ehe sie endlich durch Rauch und Hitze das Bewusstsein verloren. Bei Florenz war er zum ersten Mal Zeuge dieser Art von Hinrichtung geworden, und leider nicht zum
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