Der Gesandte des Papstes
galoppierte mitten in die Menge und bäumte sich abermals auf. Die Menschenmasse teilte sich vor ihm wie Wasser an einem Felsen. »Nein!«, schrie Raoul. »Ho!«, doch in dem Moment hielt sich ein alter Mann an seiner Hose fest. Raoul verlor den Halt und rutschte seitlich aus dem Sattel. Mit seinen Händen fing er den Sturz ab. Der Alte war fort, ebenso sein Pferd, das über die Felder hinter der Kirche jagte. Ein Bolzen steckte in seiner Flanke.
Ein Soldat in Raouls Nähe wurde getroffen; das Geschoss riss den Mann von den Füßen und schleuderte ihn nach hinten. Raoul konnte leicht der Nächste sein. Er blieb liegen und hielt nach Deckung Ausschau. Da, das Pferdefuhrwerk! Geduckt lief er los und warf sich hinter den Wagen.
Der Verurteilte, der den Kardinal beschimpft hatte, lachte irre. Die Menge war auseinandergestoben; niedergetrampelte Körper lagen auf der Wiese, unter ihnen auch die scharlachrote Gestalt des Kardinals. Offenbar hatte der Waffenknecht, der erschossen worden war, ihm zu Hilfe kommen wollen. Etwa die Hälfte der Soldaten war gefallen oder schwer verwundet. Die restlichen hatten sich um ihren Hauptmann geschart und hinter einer niedrigen Mauer an der Straße Deckung gesucht. Aus einem Wäldchen kam eine Horde Männer und Frauen gerannt, die ebenso zerlumpt waren wie die Verurteilten. Einige hatten Armbrüste, Schwerter und Äxte, aber die meisten waren mit Sensen, Dreschflegeln und Heugabeln bewaffnet.
Der Kardinal regte sich. Der Hauptmann bemerkte die Bewegung
und brüllte zwei seiner Männer an, seinen Herrn zu schützen.
Außer Raoul schien niemand die Schar zu bemerken, die sich von den Feldern her näherte. Sie würde die Kirche vor den Waffenknechten erreichen.
Raoul wollte nichts als fliehen, fort von diesem Kampf, der ihn nichts anging. Doch wenn er das tat, überließ er den Kardinal seinem Schicksal. Leise fluchend gab er sein Versteck auf und hastete über die Wiese.
Der Kardinal hatte sich auf Hände und Knie aufgerichtet. Er war bleich und sah Raoul aus verschleierten Augen an. Raoul half ihm auf. Der Mann war schwer. Glücklicherweise konnte er stehen, wenngleich er schwach auf den Beinen war.
»Zur Kirche!«, befahl Raoul.
Der Kardinal folgte ihm ohne Widerstand. Sein Blick fiel auf den toten Soldaten, der die Feuer entzündet hatte. »Die Fackel ist ausgegangen«, murmelte er und wollte stehen bleiben. Raoul zerrte ihn die Stufen der Kirche hinauf. Als sie drinnen waren, stieß er die Tür zu und legte den schweren Balken vor, kurz bevor die Katharer die Kirche erreichten. »Eminenz!«, rief einer der Soldaten. Dann erklangen Schreie und das Klirren von Waffen.
Wie Raoul vermutet hatte, versuchten die Katharer nicht, in die Kirche einzudringen. Sie waren gekommen, um ihre Glaubensbrüder zu befreien, und hatten kein Verlangen, den Kardinal zu ermorden. Er sorgte dafür, dass sich sein Schützling auf einer Kirchenbank niederließ. Der Geistliche war verwirrt, aber er schien unversehrt zu sein. Offenbar hatte er versucht, zur Kutsche zu gelangen, war in der Menschenmenge von seinen Gardisten getrennt worden und gestürzt. Er konnte dem Herrn danken, dass er nicht zu Tode getrampelt worden war.
Rom war für seine Kirchen berühmt, aber, so dachte Raoul, ganz gewiss nicht wegen dieser. Das Gotteshaus bestand wie die Häuser der Siedlung aus grauen Feldsteinen und bot Platz
für höchstens fünfzig Menschen, wenn sie eng zusammengedrängt standen. Dunkle Balken trugen ein löchriges Dach; im halb offenen Glockenturm führte eine hölzerne Wendeltreppe nach oben. Eine Kanzel gab es nicht, nur einen schmucklosen Altar vor einer Nische mit einer kleinen Figur der Heiligen Jungfrau. Der Priester schien sich entweder irgendwo zu verstecken oder war mit den anderen geflohen. Raoul trat zu einem schmalen Bogenfenster, das einen Blick auf die Wiese freigab. Ein stechender Schmerz in seiner Brust erschwerte ihm das Atmen, wie immer nach körperlicher Anstrengung. Heute Nacht werde ich das alles bitter bereuen, dachte er mit einem Anflug von Zorn.
Die beiden Soldaten und zwei Katharer lagen erschlagen vor der Kirche. Die anderen Katharer hatten irgendwoher Wasser beschafft und versuchten, die Feuer zu löschen. Die vier Verurteilten, deren Scheiterhaufen noch nicht gebrannt hatten, waren fort.
Wegen der Schmerzen atmete Raoul flacher. Langsam ging es besser. Er dachte an seine Medizin in den Satteltaschen und fluchte im Stillen. Er ging zu einem anderen Fenster und sah, dass auf der
Weitere Kostenlose Bücher