Der Gesandte des Papstes
letzten Mal. Auch in Siena und Orvieto und zwei Dörfern an der Küste waren Katharer verbrannt worden, in Orvieto zwei Dutzend
gleichzeitig. Raoul hatte gehofft, so nah bei Rom gebe es weder Katharer noch Scheiterhaufen. Doch die Rauchfahne belehrte ihn eines Besseren.
Als er das Dorf schließlich erreichte, hörte er Gesang. Es schien ein Choral zu sein, aber Raoul war nicht sicher, denn die Stimme des Sängers klang schrill und atemlos. Die Straße war menschenleer, auch in den Gebäuden zu beiden Seiten - gedrungene Bauernhäuser aus Feldsteinen mit winzigen Fenstern - schien sich niemand aufzuhalten. Langsam ritt er die Gasse entlang. Der Ort war wie ausgestorben, denn seine Bewohner standen auf einer zertrampelten Wiese vor einer kleinen Kirche weiter unten im Tal. Die Menschenmenge betrachtete schweigend und gebannt das Schauspiel vor der kleinen Kirche, sodass niemand auf Raoul achtete, der den Hügel herunterritt.
Acht Scheiterhaufen waren in einem Halbkreis aufgeschichtet und zerlumpte Gestalten an die Pflöcke gebunden worden: sechs junge Männer, ein Alter mit wirrem weißem Haar und eine hochschwangere Frau. Der erste Haufen brannte bereits, und der Verurteilte darauf sang den Choral. Seine Stimme überschlug sich fast, aber er geriet nur ins Stocken, wenn ihn der Rauch husten ließ. Raoul bewunderte den Mann für seine Todesverachtung. Er fragte sich, ob auch er so viel Mut aufbringen würde, wenn sein Ende kam.
Den anderen Verurteilten sah er an, dass sie nicht aus diesem Holz geschnitzt waren. Der Kopf der Frau war nach vorne gefallen; sie hatte das Bewusstsein verloren. Der Alte hielt die Augen geschlossen und betete stumm mit bebenden Lippen. Auf der Hose seines Nachbarn bildete sich ein dunkler Fleck, und ein anderer ruckte in den Fesseln hin und her in dem aussichtslosen Versuch, sich zu befreien.
Der Gesang wurde zu Schreien der Qual, als die Flammen den Mann einhüllten. Ein Waffenknecht hielt eine Fackel an den zweiten Holzhaufen. Das ölgetränkte Reisig fing knisternd
Feuer. »Morra!«, schrie der Verurteilte, ein gutaussehender Mann von höchstens zwanzig Jahren. »Du stinkendes Stück Aas! Du verhurter, verlogener Hundesohn. Die Pest soll dich holen. Deine Gedärme sollen verrotten.« Er spuckte in Richtung der Kirche, dann reckte er den Kopf so weit nach vorne, wie die Ketten es zuließen, und brüllte der Menge zu: »Seht ihn euch an! Es bereitet ihm Lust, uns brennen zu sehen. Später im Hurenhaus wird er an uns denken, wenn er seinen gesalbten Schwanz in eine fette Dirne …« Ein Stein traf ihn an der Brust und brachte ihn zum Verstummen. Jemand in der Menge schrie »Ketzer!« Andere fielen in den Ruf ein, und ein Hagel aus Unrat und Steinen ging auf den Verurteilten nieder. Die Waffenknechte schritten ein und drängten die aufgebrachte Menge mit ihren Lanzenschäften zurück.
Raoul blickte zur Kirche, wo das Ziel der Beleidigungen stand. Der Mann trug die scharlachrote Soutane eines Kardinals und stand mit vor dem Bauch gefalteten Händen auf der Treppe, umgeben von sechs Waffenknechten. Er war groß und stämmig und hatte ein breites Gesicht, das keinerlei Regung zeigte. Sein Schädel war kahl, bis auf einige graue Haare an den Schläfen und am Hinterkopf, die bis in den Nacken fielen. Er flüsterte dem Hauptmann der Soldaten etwas zu, worauf dieser dem Fackelträger befahl, eiligst alle Scheiterhaufen zu entzünden.
Entgegen seines Vorsatzes hatte Raoul an der Wiese angehalten. Ein Soldat, der neben der Kutsche des Kardinals am Wegesrand Wache hielt, musterte ihn gelangweilt. Der Mann trug einen grünen Waffenrock, darunter ein Kettenhemd, Panzerhandschuhe sowie einen Topfhelm und stützte sich auf seine Pike. Er kaute auf etwas herum und schob es von einer Backe in die andere.
Die Dorfbewohner jubelten jedes Mal, wenn ein weiterer Scheiterhaufen in Flammen aufging.
Raouls Pferd tänzelte unruhig und schnaubte wieder. »Du hast ja recht«, murmelte Raoul. »Wir haben hier nichts verloren.«
Plötzlich sirrte etwas durch die Luft, und der Soldat neben der Kutsche brach lautlos zusammen. Aus seiner Stirn ragte ein gefiederter Schaft.
Der Hengst war kein Schlachtross. Er witterte Tod und Gefahr, wieherte und stieg auf die Hinterbeine. Raoul umklammerte den Hals des Tieres, verlor aber dadurch die Zügel, und das Pferd brach nach rechts aus und preschte über die Wiese.
Armbrustbolzen schwirrten durch die Luft. Überall schrien die Dorfbewohner voller Panik. Raouls Pferd
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