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Der Gesandte des Papstes

Titel: Der Gesandte des Papstes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Lode
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die Nacht und ging zu seinem Schlaflager im hinteren Teil des Hauses.
    Raoul verspürte keine Müdigkeit. Lange musterte er Jada, die, verloren in ihren eigenen Gedanken, ins Feuer blickte. »Wer bist du?«, fragte er schließlich.

    Sie sah ihn an. Jada wirkte anders, seit ibn-Marzuq den Raum verlassen hatte: Ihre Schilde, mit denen sie sich umgab, waren verschwunden. »Das hast du mich schon einmal gefragt.«
    »Bekomme ich heute eine Antwort?«
    Jada wandte ihr Gesicht wieder den Flammen zu. »Ich bin eine Djinn«, sagte sie. Ihre Stimme bekam einen verächtlichen Klang, als sie ibn-Marzuqs Worte wiederholte: »Ein Geist der Wüste. Ein Dämon.«
    Raoul erinnerte sich, wie sie von »ihrem Volk« gesprochen hatte. Jetzt verstand er ihre Worte. »Warum nennt man euch so?«
    »Wir waren lange vor euch da. Wir sind Gottes Erstgeborene, gesegnet mit einer Lebensspanne, die eure weit übersteigt. Dafür ist unsere Zahl gering. Wir leben im Innern der großen Wüsten. Seit Salomo uns versklavt hat, meiden wir euch. Dennoch geschieht es manchmal, dass ihr uns begegnet. Dann gehen wir als Geschöpfe in eure Legenden ein, die Kinder holen und Krankheiten bringen. Ihr fürchtet uns, denn alles, was ihr nicht versteht, haltet ihr für böse.«
    »Warum hast du ibn-Marzuq nicht erklärt, dass er irrt?«
    »Es ist besser, wenn er so wenig wie möglich über mich weiß.« Raoul zuckte unwillkürlich zusammen, als Jada ihre Hand ins Feuer tauchte. Als sie wieder hervorkam, lag darin ein brennendes Stück Holz. In ihrer Hand schienen die Flammen kraftvoller zu lodern. »Nur bei einem irrt ibn-Marzuq nicht: Gott schuf uns aus Feuer, wie er euch aus Erde und Wasser schuf.«
    Raoul betrachtete den brennenden Span. »Also ist nicht nur deine Familie mit dieser Gabe gesegnet.«
    »Alle Djinn haben sie. Feuer kann uns nichts anhaben.« Wie um es zu beweisen, schloss Jada die Hand um das Holzstück. Flammen züngelten zwischen ihren Fingern hervor und erstarben. Dann warf sie es zurück ins Herdfeuer.
    Gottes Erstgeborene, dachte Raoul, Djinn. War die Jada, die
vor ihm saß und deren Umarmung er heute Morgen gespürt hatte, wirklich dieselbe Frau wie die Jada aus ihrer Geschichte, das tausend Jahre alte Geschöpf? Er würde lange brauchen, das zu begreifen. Und vielleicht konnte er es niemals. »Erzähl mir von dir und Antonius«, bat er sie.
    Jada nickte, doch sie brauchte lange, bis sie die Worte fand. »Er war so alt wie du, als er sein Dorf verließ«, begann sie. »Seine Eltern waren Christen gewesen und hatten ihn taufen lassen, doch als er erwachsen war, zweifelte er an den Worten der Bischöfe und Priester. Er verschenkte sein Erbe und zog hinaus in die Wüste, um selbst zu Gott zu finden. Als ich ihm dort begegnete, war ich vierhundert Jahre alt - jung, in den Augen meines Volkes. Ich verliebte mich in ihn, wagte aber nicht, mich ihm zu nähern. Er war der erste Mensch, den ich aus der Nähe sah. Monatelang beobachtete ich ihn heimlich.
    In den Dörfern am Rand der Wüste sprach sich herum, dass ein heiliger Mann, zu dem Gott sprach, in den Hügeln lebte. Man sagte ihm Wunderkräfte nach. Kranke und Verkrüppelte suchten ihn auf und baten um Heilung. Antonius schickte sie wieder fort, aber er litt darunter, nichts für sie tun zu können. Er fragte sich, welchen Sinn all die Gebete, die Entsagungen und die immerwährende Suche nach Gott hatten, wenn er nicht einmal einem Kranken helfen konnte. Er stieg in der größten Mittagshitze auf den Hügel, riss sein Kreuz vom Hals und verfluchte Gott, dass er ihm diese Last aufgebürdet hatte, bis er vor Erschöpfung zusammenbrach. Da beschloss ich, ihm zu helfen.«
    »Du hast ihm das Zepter gebracht«, sagte Raoul.
    Jada nickte. »Es wurde seit über tausend Jahren in einer Höhle in der Nähe meines Dorfes aufbewahrt, bewacht und verborgen für menschliche Augen. Ich wusste nicht, welche Macht es über mein Volk haben konnte. Mein Vater hatte mir nur erzählt, es trage die Heilkräfte der Djinn in sich. Deshalb verstand ich nicht, warum so viel Aufhebens darum gemacht wurde.«

    »Die Heilkräfte der Djinn?«
    »Unsere zweite Gabe. Die dritte ist das zweite Gesicht. Ich habe beides nicht mehr.«
    »Warum nicht?«
    »Warte«, sagte Jada und nahm die Geschichte wieder auf. »Ich hielt es für falsch, dass Antonius Dutzende von Kranken abweisen musste, während das Zepter in der Höhle verstaubte. Nach so langer Zeit rechneten die Wachen nicht mehr mit einer Gefahr für das Zepter,

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