Der Gesandte des Papstes
sicher?«
»Ja. Als er mich zwang, ihm die Wahrheit über das Zepter zu enthüllen, erzählte ich ihm nur von den Heilkräften. Er war so verwundert, dass er sich damit zufriedengab.«
Raoul blickte von Jada, deren Gesicht nichts preisgab, zu ibn-Marzuq. »Welche anderen Kräfte?«
Zu seiner Überraschung war es Jada, die die Frage beantwortete. »Das Zepter gewährt dem, der es trägt, die Herrschaft über die Djinn«, sagte sie leise.
Die Djinn … Raoul erinnerte sich, dieses Wort schon einmal gehört zu haben. Es war im Amanusgebirge gewesen, in der Syrischen Pforte, als er, Battista und Matteo die Fata Morgana gesehen hatten. Die Träume der Djinn, hatte Gaspare gesagt. »Was ist das, die Djinn ?«
Ibn-Marzuq blickte ins Herdfeuer, in die Flammen, die knisternd und gierig vom harzigen Aprikosenbaumholz fraßen. »Wir haben den Menschen erschaffen aus trockenem, tönendem Lehm, aus schwarzem, zu Gestalt gebildetem Schlamm«, flüsterte er, »und die Djinn erschufen Wir zuvor aus dem Feuer der sengenden
Glut. So steht es geschrieben im heiligsten aller Bücher. Sie sind Geister der Wüste, Dämonen, weder lebendig noch tot. Wer ihren Namen kennt, kann sie rufen. Aber sie bringen Unheil und Seuchen, und ein Weib, das einen Djinn berührt, gebiert ein totes Kind.«
Jada legte die Hände in den Schoß. Der Feuerschein spiegelte sich in ihren Augen und schien ihr Gesicht zu liebkosen.
»Salomo schuf das Zepter, um die Djinn zu unterjochen«, sagte sie. »Er ließ sie den Tempel von Jerusalem errichten und für ihn die Zukunft schauen. Sie vernichteten seine Feinde, ihre Heilkräfte verlängerten sein Leben. Als er starb, nahmen die Djinn das Zepter an sich und versteckten es tief in der Wüste, damit nie wieder einer von Gottes Zweitgeborenen Macht über sie erlangen konnte. Wer es besitzt, ist mächtiger als jeder Sultan und jeder Papst.«
»Wieso wurde seine Existenz verschwiegen?«, fragte Raoul.
»Nach Antonius’ Tod gewannen seine Schüler an Einfluss«, erwiderte Jada. »Um die Heiligkeit ihres Lehrers zu betonen, verfälschten sie die Wahrheit. Antonius sollte seine Wunder allein durch die Macht Gottes vollbracht haben, nicht mit Hilfe eines Zepters. Athanasios, der damals Bischof von Alexandria war, zwangen sie, die Vita Antonii so zu verändern, dass sie nichts enthielt, was Antonius’ Reinheit trüben könnte.« Raoul hörte die Bitterkeit in ihrer Stimme und erinnerte sich, dass das, was sie sagte, kein Wissen aus alten Büchern und Schriftrollen war, sondern etwas, das sie erlebt hatte - so unvorstellbar es auch sein mochte. »Athanasios widersetzte sich nicht; Antonius’ Jünger waren selbst für einen Bischof zu mächtig«, fuhr Jada fort. »So wurde aus dem Zepter Salomos ein hölzerner Gehstock. Heimlich schrieb Athanasios eine geheime Fortsetzung der Vita, um die Wahrheit für eine Nachwelt zu erhalten, in der die Christen weniger dogmatisch waren. Er trennte sie in zwei Teile. Im ersten beschrieb er das Zepter, im zweiten nannte er den Ort, an dem es versteckt war. Denn er war der Einzige,
der wusste, wohin Antonius vor der Christenverfolgung geflohen war.«
Ibn-Marzuq zog eine Braue hoch. »Wie habt Ihr erfahren, dass der zweite Teil der Vita in Rom aufgetaucht ist?«
»Von Euch«, antwortete Jada mit leisem Hohn.
»Von mir ?«
»Gefällt Euch Eure neue Tänzerin?«
»Sabeth? Was hat sie …?« Der Wesir stockte. Langsam sprach er weiter. »Sie steht in Euren Diensten.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
»Sie hat mir eine Kopie der Nachricht aus Rom besorgt, keinen halben Tag, nachdem Ihr damit zum Sultan gelaufen seid.«
Ibn-Marzuq war so erstaunt, dass er kein Wort herausbrachte. Schließlich lachte er leise. »Sehr gut«, sagte er, »ich sehe, dass Ihr die Spielregeln der Zitadelle besser beherrscht als mancher altgediente Hofbeamte. Aber bitte verratet mir eines: Bin ich der Einzige, bei dem es Euch gelungen ist, einen Spitzel einzuschleusen?«
»Ich habe ein halbes Dutzend Quellen im Palast«, sagte Jada. »Auch bei Eurem Freund Abdul ed-Din.«
»Abdul ed-Din«, wiederholte ibn-Marzuq, als besäße der Name einen köstlichen Geschmack. Zufrieden lehnte er sich zurück.
Schweigen legte sich über die drei wie die Nacht über das Dorf. Das Feuer sank zusammen, bis es kaum noch genügend Kraft hatte, die Scheite zu entflammen, die Raoul nachlegte. Ibn-Marzuqs Lider wurden schwer, und sein Kopf fiel nach vorn. Schließlich stand er auf, murmelte einen Segenswunsch für
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